Stefan Baumert, touristischer Geschäftsführer TUI-Deutschland

Hotel-Buchung mit Vollkasko
TUI revolutioniert Broker-Markt

Die Programm-Präsentationen der Veranstalter sind ja in der Regel das Schaulaufen schöner Urlaubsträume. Da dürfen die Palmen sowas von schräg sein und die Pools türkis und türkiser um die Wette glitzern. Folge: weite Teile solcher Pressekonferenzen haben eher generischen Charakter. Die touristische Welt ist halt verlockend. Wer hätte es in Frage gestellt.

Der eigentliche Knaller der TUI kam eher durch die Hintertür beim eher sperrigen Thema Pauschalreise-Richtlinie. Im EU-Wolkenkuckucksheim erdacht, angeblich für die Stärkung der Verbraucherschutz-Rechte, stellt sie Reisebüros, die ihren Auftrag darin sehen, dem Kunden maßgeschneiderte Reisebausteine zum besten Preis zusammen zu basteln, nun vor große Haftungsfragen. Zumindest dann, wenn unterschiedliche Quellen gemixt werden.

Nun ist das ja zugegeben auch gar nicht so im Sinn der großen Veranstalter. Sollen die Bausteine doch verbunden werden, wie der Kunde mag – am besten aber alles aus dem hauseigenen Bauchladen. Das wäre für den Expedienten doch schließlich das Einfachste – die Haftung bleibt beim Veranstalter. Und der Kunde zahlt wieder etwas mehr. Ist ja auch nicht schlecht für die Provision. Und ich möchte wetten, dass die meisten Reisebüros künftig so verfahren werden.

Aber die TUI bewegt sich mit ihrem Bauchladen eben nicht nur im einigermaßen kommoden Veranstaltermarkt, sondern sieht sich zunehmend bissiger Konkurrenz ausgesetzt im Broker-Markt. Bestes Beispiel: reine Hotelbuchungen, oder Mietwagen, oder auch Flüge. Preislich hat man da wenig Spielraum. Und die hauseigenen Systeme sind längst nicht so flexibel. (Nicht selten sollen Reisebüros bisher schon außergewöhnliche Hotels für ihre Kunden lieber über booking.com beschafft haben, weil das hauseigene Veranstalter-System die gewünschte Buchung nicht verarbeiten konnte..)

Jetzt wagt die TUI einen Befreiungsschlag. Das „TUI-Plus-Paket“. Es beinhaltet den quasi Rundum-Schutz einer Pauschalreise, inklusive einer 24/7 Betreuung und Krisen-Management – und wird gratis (!) auch auf eine einfache Hotelbuchung oder eine Mietwagen-Reservierung oben drauf gelegt. Das ist schon eine Art Revolution, die auch die booking.coms der Welt etwas schlucken lassen wird. Denn im Gegensatz zu ihnen, die ja Wert darauf legen, nur zu vermitteln, hat der TUI Kunde auch bei einer einfachen Hotelbuchung irgendwo auf der Welt jetzt den gesamten TUI Service im Rücken, falls mal was vor Ort nicht klappt. Also keine frustrierenden Auseinandersetzungen mehr an der Rezeption, sondern der kurze Draht zum Reiseleiter mit der Bitte um sofortige Abhilfe. 

Ich sage es mal so: noch wird zu prüfen sein, ob die TUI preislich mit den Vergleichs-Angeboten auf dem „freien Markt“ tatsächlich wird mithalten können. Aber bei Preis-Parität wäre jeder Reisende ja dämlich, dieses Vollkasko-Paket links liegen zu lassen. Und jeder Reisebüro-Expedient auch, der durch eine TUI-Buchung des Hotelbausteins oder des Mietwagens die Haftung elegant nach Hanover delegieren kann.

Wie gesagt, die Revolution kam bei der PK über die Hintertür. Noch nicht einmal eine eigene Presse-Mitteilung gab es dafür. Und in Gesprächen mit dem Management war auch zu spüren, dass man die Geister, die man rief, erst allmählich realisiert. Noch soll es eher eine Interne Kommunikations-Strategie sein Richtung Stationärer Vertrieb. Was ich hiermit gerne als Reiseradio für die Profi-Touristiker unterstütze 🙂

Was gab es noch für einen Schwerpunkt bei Stefan Baumert, dem Chef-Touristiker der TUI-Deutschland? Des einen Leid, des anderen Freud, könnte man es nennen. Die mächtigen Schluckbeschwerden des Computersystems der DER-Touristik vor einem Jahr liessen nicht nur Expedienten verzweifeln, sondern führten auch zu Marktbewegungen ganz im Sinne der Mitbewerber. So reklamiert die TUI nun mit gebremstem Stolz (und durchaus Verständnis für die Nöte der DER-Touristiker – schließlich hatte man vor Jahren ähnlich zu kämpfen bei der Systemumstellung) die Marktführerschaft im Bereich Fernreise. Passt jetzt für die Wintersaison; traditionell ja die Jahreszeit für Trips in die exotischere Ferne.

Nur, vom Titel „größter Fernreise-Veranstalter auf dem deutschen Markt“ kann man sich wenig kaufen. Jetzt gilt es, mit neuen Produkten und attraktiven Preisen die Kompetenz in den Köpfen der Kunden zu verankern. Denn auch die anderen Mütter haben weiterhin schöne Töchter – und auf der Fernstrecke gibt es mangels vieler exklusiver Produkte auch kaum einfache Differenzierungs-Möglichkeiten.

Die TUI probiert es nun über die Familienfreundlichkeit. Nun kann man durchaus geteilter Meinung darüber sein, ob ein Familienurlaub wirklich in die Ferne führen muss. Und, je jünger die Kinder sind, desto eher sollte man es verneinen. Kindern – wir reden jetzt hier bewusst nicht über Jugendliche – ist es wahrscheinlich völlig egal, ob der Strand auf Fidschi ist oder auf Fuerteventura. Hauptsache Sand, und Hauptsache viele andere Kinder, mit denen man eine Ferien-Freundschaft schließen kann. 

Aber angesichts momentan günstiger Dollar-Einkaufskurse lassen sich halt Pakete für die Ferne schnüren, die eben nicht eklatant teurer sind, als für Fuerte. Und deshalb macht die Strategie aus wirtschaftlichen Gründen sicher Sinn. Einem Veranstalter ist das Pekuniäre schließlich wichtiger als das Pädagogische…

Für das Hintergrund-Gespräch mit Stefan Baumert bitte den Play-Button im Bild klicken.

 

 

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