Ich gehe einfach mal davon aus, dass Sie professionellen Reisejournalismus schätzen. Sonst wären Sie jetzt ja nicht hier… Aber wahrscheinlich gehören Sie auch der verdächtigen Gruppe Menschen an, die nach wir vor auf fachkundige Beratung im Reisebüro setzt bei der Urlaubsplanung, und nicht auf das Wühlen durch Internetseiten – zumal diese Vor-Ort-Expertise zum Nulltarif geboten wird.
Scheinbar sind wir alle ein wenig „gestrig“. Sprechen wir also über den Reisejournalismus.
Transparenz-Hinweis: ich bin der Ehrenpräsident der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (VDRJ). Deshalb klingt es logischerweise wie das übliche Lobbyisten-Lamentieren, wenn ich sage: dem Reisejournalismus ging es noch nie so schlecht, wie zur Zeit. Es ist aber leider nur eine nüchterne Zustandsbeschreibung.
Print hatte es schon vor Jahren erwischt. Allgemeine Medienkrise (klassische Abonnenten sterben schneller weg, als neue sich überzeugen lassen vom hohen Monatspreis), weltweite Wirtschaftsprobleme und Herausforderungen wie Corona und Krieg ließen in vielen Verlagen vor allem die nice-to-have Angebote überprüfen. Ein eigener, redaktionell kuratierter Reiseteil gehört nicht zum unverzichtbaren Angebot. Folge: viele Reiseseiten verschwanden oder wurden im Umfang stark reduziert. Andere fielen der Marktkonzentration zum Opfer. Ein Verlag, viele Zeitungen. Und alle bekommen dasselbe Reiseblatt aus der Zentralredaktion.
Für Journalisten mit Schwerpunkt Print laufen also seit Jahren die Geschäfte schlecht. Wenn Artikel, dann viel kürzere, wenn Honorar, dann zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.
Aber auch bei Radio und Fernsehen sieht es zunehmend mau aus. Und wir reden hier eigentlich nur über die Öffentlich-Rechtlichen Anstalten. Die Privatsender haben sich schon sehr lange vom Reisejournalismus verabschiedet. In memoriam Vox mit ihren damals stilbildenden Voxtours. Auch hier geht es ums Geld. Gerade beim Fernsehen. Eine TV-Reise-Dokumentation von 45min Länge kostet etwa 50 mal so viel, wie ein gut honorierter Artikel. Das können und wollen sich nicht mehr viele Sender leisten. Aber selbst Radio-Reisemagazine gibt es kaum noch. Hintergrund: die Öffentlich-Rechtlichen wollen vorbildlich auch die Recherchekosten aus eigener Kraft tragen, und nicht durch Mithilfe durch die touristische Industrie. Und dann wird Reise schnell unbezahlbar als Resort.
Aber nun kommen wir zur Nutzer-Seite. Zu Ihnen also. Wie wichtig sind dem durchschnittlichen Leser, Zuhörer und Zuschauer heute noch klassische Reiseberichte? Wenn ich die Frage erweitere auf die Zielgruppe, die ihren Medienkonsum überwiegend oder sogar ausschließlich befriedigt durch Social Media…, dann wäre sie eh obsolet.
Reisejournalismus wird zunehmend weggedrückt durch leicht verdauliche, plakative Informationshäppchen. Wobei Information hier streng genommen in die falsche Richtig führt. Viele der „neuen“ Akteure lieben mehr die „ach so authentische“ Selbstdarstellung, die auf Social Media honoriert wird durch Freundeskreise und Herzchen. Und bei der anderen Gruppe, den Influencern, ist es reiner Kommerz, welches Ziel sie ihrer Community präsentieren – natürlich nach Skript und Geldfluss durch die Auftraggeber.
Ein journalistischer Kanal hier auf YouTube kämpft um jeden Abonnenten. Da kann man sich noch so viel Gedanken um Kameraführung, Skript und Text machen – die Channel, die Reise dagegen überwiegend durch Selfie-Geplauder „ach ist das schön hier“ darstellen, haben ganz schnell eine mindestens fünfstellige Followerschaft. Und wenn die Kamera-Präsenz bei einer hübschen, jungen Frau mit Liebe zu Mode und Bikini liegt, dann geht es halt noch schneller.
Und dann ist da noch die KI, die Künstliche Intelligenz, die immer stärker und besser wird, und bereits anfängt, Disruption zu schaffen in unserer Berufsgruppe, die sich am Anfang noch immun wähnte. Denn was, so fragten wir, gibt es Individuelleres, als die Schaffensleistung eines Journalisten oder Kameramanns? Am Anfang waren wir beruhigt. Die Text, die Chat GPT oder andere Modelle ausspuckten, waren wirklich im besten Falle schlicht – mit hoher Gefahr des Phantasierens der CPU.
Heute sieht es schon anders aus. Geschlossene Modelle füttern ihre KI mit speziellen Informationen, sodass die Antworten immer präziser werden. Selbst den Stil des Textes kann man schon beeinflussen, wenn die KI genügend Artikel der Autoren bekommt zum Anlernen.
Und bei Radio: es gibt bereits englisch-sprachige Modelle, die nur ein Factsheet benötigen mit Informationen, um daraus mit perfekten künstlichen Stimmen einen munteren Podcast mit mehreren Personen zu simulieren.
Die Möglichkeiten der künstlichen Bilder-Produktion hat wahrscheinlich jeder schon mal spielerisch ausprobiert. Aber es geht schon längst weiter. In meiner Dokumentation habe ich historische Situationen, zu denen es wenige echte Archiv-Filmaufnahmen gibt (oder wenn, dann sehr teure) einfach per Midjourney artifiziell erschaffen – um sie dann an eine andere KI weiterzugeben, namens Luma Dream-Machine, die aus den künstlichen Fotos künstliche, manchmal sogar photorealistische Filmszenen erzeugte. Mal eben so. Zu einem Bruchteil des Aufwandes und der Kosten eines echten Drehs.
Das ist also die Ausgangslage für diese Film-Dokumentation. Aber keine Angst: es wird kein Wehklagen. Ich habe viele Kolleginnen und Kollegen befragt, übrigens auch aus der PR und der touristischen Industrie, ob und was ihnen am Reisejournalismus gefällt. Und ob sie eine Zukunft sehen. Es ist eine nachdenkliche, aber auch hoffnungsvolle Collage daraus entstanden.
Ach ja: wenn Sie zufällig auch als Journalist*in diesen Film sehen… ein bisschen Werbung muss sein. Vielleicht inspiriert Sie der Film, auf diesen Link zu klicken. Dann landen Sie auf der Webseite der VDRJ mit den Kriterien für eine Aufnahme 🙂
Um die Film-Doku zu schauen, bitte auf den PLAY Button im Titelbild klicken