Ist die Türkei noch zu retten?
Nach der Abstimmung wird es noch schlimmer

Kommentar: Jürgen Drensek

Und nun zur Tagesordnung? So wie es sich die Türkei-Spezialisten wie Bentour oder Öger wünschen würden, oder FTI, das sich mit dem Grabbeltisch-Einkauf der stark verderblichen Ware Urlaub am Bosporus ziemlich verhoben hat? „Das türkische Volk“ hat entschieden, sich einem autokratischen Herrscher freiwillig zu opfern, den Rest geht die Touristik nichts an…

Nicht nur einige selbst wirtschaftlich stark betroffene Veranstalter sehnen sich nach der Normalität im Umgang mit der Türkei als Zielgebiet zurück. Auch einige „Kolleginnen und Kollegen“, die sich selbst wohl eher als Urlaubstester definieren, denn als Reisejournalisten, haben in den letzten Wochen in Social Media Kommentaren und auf Treffen deutlich gemacht, dass ihnen in der Bewertung dieser Destination das gute All-Inclusive Angebot, die schöne Landschaft und die sicher individuell oft sehr herzlichen Gastgeber allemal wichtiger sind als wohlfeile demokratische Überzeugungen und Empathie für all die Opfer des Erdogan-Clans.

Es ist die alte, überkommene Haltung im Tourismus, die seit vielen Jahrzehnten praktiziert wird,und dazu eine äußerst bequeme: als Touristiker könne man nicht die Welt retten, man sei nur seinen Gästen gegenüber verantwortlich, ein Urlaub nur in lupenreinen Demokratien sei illusorisch und das einzige, was zur Aktion zwinge, sei eine Katastrophe oder eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes..

Also ist nach dieser Haltung alles wieder fein. Nach den unruhigen Wochen des Wahlkampfes, nach den Nazi-Beschimpfungen durch Erdogan, nach den eklatanten Rechtsbrüchen in einem Land, das angeblich Gewaltenteilung hat, reduzieren wir die Türkei wieder auf die Hotels und das behütete Ausflugsprogramm. Die Reisebüros sollen endlich wieder aktiv verkaufen, die Kunden werden einsehen, dass sie kaum sonstwo ein so gutes Preis-Leistungsverhältnis bekommen – und politisches, demokratisches Bewusstsein oder gar Haltung der Masse sei eh eine Schimäre, wie man selbst daheim sieht durch das Aufkommen der neuen unappetitlichen Wutbürger-, und Rechtsaußen-Bewegung.

Nein, die Türkei hat zwar gewählt, aber das Ergebnis, dem mehr als nur ein Geschmäckle eines von der AKP organisierten Wahlbetrugs anhängt, ist denkbar knapp. Nur die Hälfte der Türken haben gezeigt, dass ihnen Demokratie, Gewaltenteilung und freie Meinung weniger wichtig sind, als ein starker Führer, der es schon zu Ruhm und Ehre des stolzen türkischen Volkes richten wird. Und nach den ersten Analysen sind die Erdogan Fans vor allem in den ungebildeten Schichten im Hinterland zu finden.

Das Land ist tief gespalten zwischen denjenigen, die auf eine europäisch inspirierte Zukunft hoffen,  und denen, die den Zeiten nachtrauern, wo die Türken mit dem Krummsäbel vor Wien standen. Man kann auch davon ausgehen, dass die meisten Türken, die tagtäglich mit Reisenden zu tun haben, zum Nein-Lager tendieren. Einfach, weil bedingungslose Demokratie alternativlos ist, wenn man die Türkei langfristig aus dem religiös verbrämten Mittelalter befreien möchte.

Erdogan weiss, dass er eigentlich verloren hat. Denn noch nicht mal so viele Menschen haben mit JA gestimmt, wie es in seinem Lager Partei-Sympathisanten gibt. Und man braucht kein Psychologie-Studium, um vorauszusehen, wie ein Choleriker Erdogan wegen dieser mehr als wackeligen Grundlage reagieren wird… nicht als vereinender Landesvater, der auch die Skeptiker hinter sich versammeln möchte, sondern mit harter Hand und Unnachgiebigkeit. Wer nach so einer Wahl als erstes an die Todesstrafe denkt, die eingeführt werden soll, wer weiter Europa als Feindbild missbraucht und Journalisten wegsperren lässt, nur, weil sie ihm unbequem sind, der nimmt auch Aufstände und Konflikte liebend gerne in Kauf, um sich zu inszenieren.

Und da kommt der Tourismus wieder ins Spiel. Die Türkei, davon bin ich überzeugt, wird nicht zur Ruhe kommen. Die Hälfte der Bevölkerung, und unter ihnen so viele Intellektuelle, lässt sich nicht auf Dauer unterdrücken und schikanieren. Es wird auf absehbare Zeit keine Versöhnung an der Shisha geben. Und gepaart mit der natürlich weiterhin explosiven Lage an der Kurden-, und IS-Front bleibt die Türkei deshalb ein zutiefst zerrissenes Land, das kein sicherer Hafen ist für einen unbeschwerten Familienurlaub. Nein, nach dem heutigen Tag ist die Türkei leider nicht zu retten. Ich zumindest werde das eigentlich wunderschöne Land nicht mehr besuchen. Hätte nie gedacht, dass ich als Reisejournalist einmal Angst haben müsste, dort verhaftet zu werden. Aber die Gefahr ist leider konkret, wie mir bedeutet wurde. Und das ist ein Tiefschlag. Schade für ein Land, das ich einmal so mochte.

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