Urlauber fremdeln in der Fremde
Reisejahr der Verunsicherung

Kommentar: Jürgen Drensek
Kommentar: Jürgen Drensek

Es sind unsichere Zeiten. Und das soll jetzt gar kein Alarmismus sein. Es ist lediglich eine Bestandsaufnahme in Bezug auf die touristische Industrie 2016. Nichts ist mehr so kommod, wie man sich jahrzehntelang eingerichtet hat. Das Leben der Urlaubsmanager war – von kleinen Stromschnellen mal abgesehen – immer ein langer, ruhiger Fluss. Die Deutschen fuhren in Urlaub; bevorzugt dahin, wo es schön sonnig ist. Das schien Gesetz – und gesetzt als sichere Bank. Eine geradezu weltmeisterliche Routine, wie es sich für die reisefreudigste Nation gehört.

Aber 2016 wird wohl anders. Und das hat nur bedingt etwas mit Sicherheit im anderen Wortsinn zu tun. Ja, es gibt natürlich verbreitet Unbehagen, vor allem bei Familien, und bei manchen sogar eine latente Angst vor Terror. Das sollte man auch nicht wegwischen, obwohl 14 Tage daheim in einer Metropole wie Berlin rein statistisch sicher einen höheren Gefahren-Score haben, als zwei Wochen in einer All-Inclusive Anlage an der türkischen Riviera. Das ist so, wie beim Fliegen, wo eindeutig die höchste Unfallgefahr bei jedem Flug im Taxiway vom und zum Gate besteht. Wird Ihnen jeder Pilot bestätigen. Aber was nützt es gegen ein flaues Gefühl im Magen? Angst fressen Seele auf, und vorher sowieso den Verstand.

Nein, ich glaube nicht, dass 2016 ein kaputtes Urlaubsjahr wird wegen des Terrors des IS und anderer Glaubens-Verbrecher. Aber es wird ein extrem unsicheres Jahr in Bezug auf Reiseströme und Urlaubsverhalten. Und das ist der Reiseindustrie ein fast noch größeres Gräuel. Der deutsche Tourist ist unberechenbarer geworden in seiner Zielgebiets-Auswahl. Die Sonne und Sand Routine ist weg. Früher war es immer so: Egal, was auch passiert – so lange das Hotel an einem schönen Strand liegt, das üppige Essen den heimischen Gepflogenheiten ent-, und der Breitengrad Sonnenbrand verspricht, ist es dem deutschen Volumenmarkt egal, wohin er landverschickt wird. Ich glaube, es war der Studienkreis Tourismus, der Kulturpessimisten bestätigte: der Durchschnittsurlauber rund ums Mittelmeer verlässt innerhalb eines zweiwöchigen Urlaubs genau für eineinhalb Tage sei umzäuntes Resort. Und ob da draußen eine griechische, türkische, tunesische oder ägyptische Flagge weht, ist ihm schnurzpiepegal.

Auch das hat sich geändert. Aber nicht im positiven, Entdeckungs-freudigen Sinn. Otto Normalurlauber schaut auf einmal aufs Land – und fremdelt mit der Fremde. Monatelange Gehirnwäsche von Hetzern aus Pegida und AfD-Bodensatz war nicht wirkungslos; zusätzlich befeuert durch eine objektive Überforderung vieler durch die Konfrontation mit den Flüchtlingsströmen daheim. Nicht nur die Gröhler und der gewaltbereite Mob haben da Probleme, einfach in den LMA-Urlaubsmodus umzuswitchen, wenn es um die regionale Ferienentscheidung geht. Die Herzen sind enger geworden; genau wie die Fähigkeit zur differenzierten Weltsicht. Vor diesem Hintergrund beunruhigt auch die aktuelle Meldung über die Prügelei zwischen einer Horde Deutscher und illegalen afrikanischen Händlern am Ballermann durchaus.

Professor Karl Born und ich hatten in unserem Jahresauftakt die These vertreten, die Flüchtlingsfrage wird dieses Jahr die Urlaubsplanung stärker negativ beeinflussen, als jede andere Unwägbarkeit. Kurz vor der Sommersaison scheint sich der Unkenruf unglücklicherweise zu bestätigen. Aller Zahlenkosmetik zum Trotz: die etablierten Veranstalter haben Probleme auf dem deutschen Markt. Er ist das Sorgenkind in den Bilanzen. Bei den Paxzahlen wird es vielleicht gar nicht so einen Einbruch geben, nachdem die Last-Minute-Runde trommelnd eingeläutet wird. Das Schnäppchen ist immer noch das beste Sedativ für ängstlich oder unwillig Zögerliche. Aber bei Gewinn und Rendite werden viele schon alle möglichen Bilanztricks anwenden müssen, um im Oktober gut da zu stehen. Und was noch schwerer wiegt: wie man so hört, herrscht bei den Veranstaltern derzeit eine völlig neue Hektik. Man weiss nicht, wie man 2017 planen soll. Denn dieses Jahr ist wohl kein Ausrutscher, sondern der Anfang einer neuen Volatilität. Und dafür ist die klassische Veranstalter-Branche mit ihrer tradierten Kontingent-Planung sehr schlecht gewappnet.

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