Redaktionelle Anmerkung: dieser Text – genau, wie das Interview – wurden MItte Februar 2020 geschrieben und veröffentlicht. Aus heutigem Wissen sind manche Einschätzungen zu optimistisch. Sie bleiben als Zeitdokument trotzdem unredigiert auf dieser Seite.
Wer die letzten Wochen Nachrichten schaute, hatte selbst bei den sonst seriös-zurückhaltenden Quellen ARD und ZDF manchmal den Eindruck, mittendrin zu sein in einem Katastrophenthriller. Hilfspersonal in Seuchenschutzanzügen, martialisch abgeriegelte Wohnviertel, breite Magistralen, durch die nur noch der Wind fegt und Müll vom Strassenrand – es fehlte (zum Glück) nur noch die amerikanische Angewohnheit von TV-Sendern, mit episch-dramatischer Musik und einer Bild-Collage die neuesten Nachrichten über Corona / Covid19 anzuteasern..
Ein Virus mit Gruselpotential.
Nicht missverstehen: es ist keine Lappalie. Weit über 1000 Tote und zigtausend Infizierte, das alles mit immer noch offenem Ende, das ist ein Thema. Ein öffentliches, und nicht nur eine Forschungsarbeit für Infektiologen.
Auf der anderen Seite sollte man auch nicht vergessen, dass im selben Zeitraum, in dem wir jetzt fasziniert-ängstlich auf das Corona Virus Covid19 starren, ein vielfaches an Menschen gestorben ist durch das artverwandte Influenza Virus, vulgo, die Grippe. Die WHO Zahlen gehen von drei bis fünf Millionen schwer Infizierten pro Jahr aus. Wenn wir nur den Mittelwert nehmen und ihn durch 12 teilen (was ja sehr optimistisch abgeleitet ist, weil die Grippe-Fälle im Winter logischerweise ungleich höher sind…), dann kommen wir auf fast 700.000 Infizierte weltweit seit Jahresbeginn. Und nach demselben Rechenmodell auf an die 75000 Tote.
Interessiert es uns? Gibt es deswegen Sondersendungen? Nein, wir haben gelernt, mit der Grippe zu leben. Man könnte auch sagen, wir sind abgestumpft genug, die reale Bedrohung durch diese Infektion nicht mehr zur Kenntnis nehmen zu wollen.
Das ist nur ein Beispiel für unsere verzerrte Wahrnehmung von Gefahr. Ein spannendes Seminarthema für Geisteswissenschaften und Journalismus. Vor allem über die gesellschaftlichen Folgen. Man könnte vielleicht noch schmunzeln über die geistig eher schlichten Gemüter, die sich derzeit nicht trauen, „beim Chinesen“ essen zu gehen, oder die sich weigerten, Autos zu warten eines Betriebes, bei dem Mitarbeiter sich infiziert hatten. Weniger komisch sind da schon die Dummbratzen, die ihre intellektuelle Beschränktheit dadurch ausleben, dass sie asiatische Menschen einfach so bedrohen und bedrängen.
Und im Tourismus? Auch da gibt es derzeit das Potential des Durchdrehens. Eine Marginale ist die Angst, auf der ITB könnte es leer werden wegen der Virus-Angst. 0,3 Prozent der Aussteller und 0,02 Prozent der Besucher kommen aus China. Die Messe Berlin gibt sich gelassen. Die Toiletten würden häufiger gereinigt und desinfiziert. Eine gute Entscheidung. Sollte man beibehalten, unabhängig vom aktuellen Virus…
Dass China-Spezialist Caissa Touristik Kurzarbeit anmelden musste, macht das Problem deutlich: Gesamt-China (!) ist derzeit unverkäuflich; ebenso wie Hongkong durch die politischen Spannungen. Für Full-Sortimenter ist das noch verschmerzbar. Problematisch wird es, wenn zum Beispiel Thailand mit traditionell sehr vielen chinesischen Besuchern Infektionszahlen präsentieren müsste. Dann ist es nicht mehr weit, dass asiatische Destinationen generell gemieden würden.
Die Kreuzfahrt-Branche sieht sich derzeit mit der Angst konfrontiert, ein Hochrisiko-Ort zu sein. Dabei gab und gibt es laufend Fälle von zum Beispiel Norovirus-Ausbrüchen und sich rasant ausbreitenden grippalen Infekten. Aber dieses Mal wurde man durch die fehlende Faktenlage gezwungen zu Maßnahmen, die Schiffe medial zu Internierungslagern machten.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Der zusammengebrochene Incoming-Tourismus, die Streichung fast aller Flugverbindungen, der Auftritt mancher Airline-Crews mit Schutzhandschuhen und Atemmaske…
Ich möchte eine leicht übertragbare Virus-Infektion nicht klein reden. Ich hatte einmal eine richtige Grippe. Das braucht und will kein Mensch. Aber etwas weniger Panik und lieber Besinnung auf einfache Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln würde dem Thema wahrscheinlich besser helfen. Ich sprach darüber mit Professor Dr. Jelinek, dem Wissenschaftlichen Leiter des Centrums für Reisemedizin CRM.
Um den Podcast mit Tomas Jelinek zu hören, bitte auf den PLAY Button im Bild klicken.
Zwischenzeitliche Aktualisierung von Prof. Dr. Jelinek:
„In den meisten Weltgegenden ist das Risiko einer Ansteckung noch immer gering“, sagt Prof. Dr. med. Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des CRM Centrum für Reisemedizin. Die Situation entwickle sich jedoch sehr dynamisch. Wer vorhabe zu verreisen, solle sich daher stets über die aktuelle Lage im Zielland informieren – etwa auf den Seiten des Auswärtigen Amtes, das für Reisewarnungen zuständig ist. Dort wird derzeit nur vor Reisen in das schwer betroffene Hubei gewarnt. Von nicht notwendigen Reisen in andere Regionen mit erhöhten Infektionszahlen – darunter eine Stadt und eine Provinz in Norditalien – wird lediglich abgeraten. Ebenfalls informieren sollte man sich über die aktuellen Reiseverbindungen zu oder aus den betroffenen Regionen: Viele Fluggesellschaften streichen derzeit Flüge, manche Länder verweigern Passagieren aus Risikogebieten die Einreise.
Wer sich in einem Risikogebiet aufhält oder in den vergangenen 14 Tagen von dort zurückgekehrt ist, sollte umgehend einen Arzt konsultieren, sobald er die erkältungsähnlichen Symptome einer COVID-19-Erkrankung an sich bemerkt. „Am häufigsten treten Fieber, ein trockener Husten und Kurzatmigkeit auf“, erläutert Jelinek. Bei rund 80 Prozent der Patienten verlaufe die Erkrankung mild mit nur leichten bis mittleren Erkältungssymptomen. Bei rund 20 Prozent komme es zu einer heftigeren Lungenentzündung, die bei rund jedem Vierten (6 Prozent aller Erkrankten) einen schweren bis kritischen Verlauf nehme.
Eine Impfung gegen Sars-CoV-2 gibt es bislang nicht. Wer in eine Region mit erhöhtem Ansteckungsrisiko reist, muss sich daher auf die allgemeinen Regeln zum Infektionsschutz verlassen. „Die mit Abstand wirksamste Maßnahme ist das häufige und sorgfältige Händewaschen“, sagt Jelinek. „Dieses sollte man prinzipiell auf Reisen beachten.“ Hierfür reichten im Prinzip Wasser und Seife aus, auf Reisen mit womöglich eingeschränktem Zugang zu Waschgelegenheiten seien jedoch alkohol-basierte Desinfektionssprays zu empfehlen. Mit den Händen sollte zudem nicht ins Gesicht gefasst werden, denn über die Schleimhäute von Augen, Nase und Mund gelangen die Viren leicht in den Körper. Zu offensichtlich erkälteten Personen sollte Abstand gehalten werden. „Eine Gesichtsmaske empfiehlt sich dann, wenn man sich selbst nicht ganz gesund fühlt“, so Jelinek. Der Mundschutz helfe dabei, den beim Husten oder Niesen entstehenden virushaltigen Sprühnebel zurückzuhalten. Die handelsüblichen Produkte schützten jedoch nicht vor einer Infektion. Hierzu wären sogenannte partikeldichte Masken notwendig, durch die das Atmen jedoch langfristig sehr anstrengend wird. Selbstverständlich sollte zudem die sogenannte Niesetikette sein: Beim Husten oder Niesen den Mund mit der Ellenbeuge oder einem Taschentuch bedecken, das Tuch sofort entsorgen und die Hände waschen.
Da eine Sars-CoV-2-Infektion manchmal auch mit Durchfall einhergeht, ist auch eine Übertragung per Schmierinfektion vermutlich nicht ausgeschlossen. „Gerade auf Reisen, wenn man sich sein Essen häufig nicht selbst zubereiten kann, sollte daher auf eine gute Lebensmittel- und Trinkwasserhygiene geachtet werden“, sagt Jelinek.
Trotz der fortschreitenden Ausbreitung von Sars-CoV-2 mahnt das CRM dazu, andere Gesundheitsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren: Das Erkrankungs- und Komplikationsrisiko durch eine Influenza ist immer noch deutlich höher als durch das neue Virus. Es wäre daher viel gewonnen, wenn möglichst viele Reisende, aber auch Nicht-Reisende, gegen Influenza geimpft wären. Dann ließen sich auch Doppelinfektionen und unnötige COVID-19-Verdachtsfälle vermeiden.
Den Stand der Dinge in Sachen Corona bitte über diese Links recherchieren. Danke!
Centrum für Reisemedizin (CRM)
Robert Koch-Institut (RKI): COVID-19 (Coronavirus SARS-CoV-2
Auswärtiges Amt (AA) aktualisiert regelmäßig Informationen für Reisende
Merkblatt: COVID-19 (Neuartiges Coronavirus
Center for System Science and Engineering at Johns Hopkins University: Aktuelle Fallzahlen
WHO: Aktuelle Fallzahlen und tägliche Kurzreports
European Centre for Disease Prevention and Control: mehr Informationen zur Situation in Europa