Reisebüro als Experten-Beratung unter Freunden. So könnte es sein - Foto © Aixpress/MJ

Gerade Jüngere lieben Reisebüros?
In turbulenten Zeiten ist Beratung wieder Trumpf

Kommentar: Jürgen Drensek

Eigentlich ist Reisen doch toll. Spätestens die ITB, die wieder einen Hauch von Business-as-usual vermittelte – und auf der die Branche wieder herzte und schäkerte wie in den guten, alten Vor-Corona-Zeiten – sorgte da für einen Motivationsschub. Wenn nur nicht die böse Welt außerhalb der Messehallen gewesen wäre. Denn die gefühlte Reiselust muss sich gerade wieder einem gehörigen Stress-Test unterziehen. Zigtausend ITB-Besucher, die eigentlich am letzten Messetag wieder heim wollten, können ein traurig Lied singen.

Reisen in turbulenten Zeiten

Dabei hat Reisen schon lange seine unschuldig-naive Freude verloren. Vor Corona war es der allgegenwärtig so empfundene Overtourism – bis zum selbstverständlich nicht hinterfragenden zweitägigen Saufgelage auf Malle ohne Hotelbuchung, aber mit Billig-Flugticket. Dann kam Corona. Da gehe ich aus seelischem Selbstschutz lieber nicht in die Tiefe. Dann der russische Angriffskrieg mit den nachfolgend explodierenden Lebenshaltungskosten auch für uns. 

Sich einfach nur auf Urlaub zu freuen, fällt mittlerweile sehr schwer. Kleiner Einschub: und das betrifft auch uns Touristik-Profis beim Gedanken an den nächsten Business-Trip. On Top hat man es gefühlt seit Monaten nur noch mit narzistischen Selbstdarstellern und maßlosen Tarif-Kämpfern zu tun, die fast schon eine klammheimliche Freude haben, möglichst viele Menschen, die nichts, aber rein gar nichts mit ihrem Betriebs-Händel zu tun haben, in unverschämte Geiselhaft zu nehmen. 

Verlorene Unschuld 

Das Schlimme ist, dass vor allem die Gewerkschaften, deren Intellektualität gerade noch bis zur Trillerpfeife und einer lächerlichen Plastikweste reicht, ihren Protest so tumb gestalten, dass auch der letzte Wohlmeinende keine Sympathie mehr aufbringen kann. Der faktische Schaden durch Bahn und Luftverkehrs-Still-Legung geht mittlerweile in die Milliarden – die wir alle bezahlen. 

Aber schlimmer noch, weil nicht rechnerisch fassbar: wenn die Lust an der freien Mobilität, die mal ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft war, abhanden kommt, wenn Menschen sich lieber gar nicht mehr auf den Weg machen wollen, weil es ihnen zu stressig erscheint, Streik-Ausfälle, Verspätungen, verpasste Anschlüsse, unwürdiges Ertragen von unsinnigen Pseudo-Kontrollen oder Preistreiberei zu erdulden für einen traditionellen Urlaub – dann wird das ein Problem für die Touristik, das sich mittelfristig zu einem emotionalen Monster entwickeln könnte.

Zwischen Stress und Sehnsucht

Hurra, mögen jetzt einige sagen, passt doch, die Rückbesinnung auf die kleinen Freuden des Urlaubs auf Balkonien oder in die regionalen Ausflugsziele. Schont die Ressourcen, die Umwelt, und führt zur Wertschöpfung im eigenen Land, statt zum Milliardentransfer ohne fassbare Gegenleistung in die Welt. Theoretisch schön gedacht. Aber da wird die Rechnung natürlich ohne die gesamte Wertschöpfungskette gemacht. Da, wo das kleinteilig Nahe möglicherweise profitiert, verliert das komplexe Große. 

Wer bezahlt den Preis der Träume?

Es ist nun mal eine Illusion, zu glauben, eine Familie mit zwei Kindern könnte in Preis-, und vor allem Qualitäts-Parität einen Urlaub entweder an der türkischen Riviera verbringen, oder am Ostseestrand. Nein, das funktioniert nicht. Der Urlaub in einem vergleichbaren Hotel mit vergleichbarem Angebot und Verpflegung wäre in Deutschland mindestens doppelt so teuer. 

Und schon heute haben wir das Problem, dass auch der organisierte, „preiswerte“ Tourismus, sprich, die Veranstalter-Reise im Regelfall ins sonnige Bade-Ausland, für viele Nicht-ganz-so-gut-Verdienende zu einem echten Kosten-Problem wird.

Das Geld macht die Branche derzeit vor allem mit den Besser-Verdienenden. Also mit denen, die wirtschaftlich nicht ganz so gebeutelt sind durch Nachzahlungen bei Heizung und teurerem Warenkorb. Die weiterhin in Restaurants essen und trinken gehen und auch gerne reisen. Vor allem: die sich einen großen Teil des Reise-Stresses wegkaufen können durch flexible Umbuchungen, durch individuelle Transfers, Fast Lanes und Warte-Lounges. 

Überleben im Sturm

Die Luxus-Anbieter wie Airtours profitieren derzeit besonders von dieser Entwicklung. Wenn schon weg vom kommoden Daheim, dann wenigstens in einer rundum-sorglos-Blase. Ja, man möchte tolle Erlebnisse haben (durchaus auch solche, mit denen man im Freundeskreis auf der nächsten Garten-Party ein wenig angeben kann…) – aber Reise-Mühsal, notdürftig verbrämt als Globetrotter-Abenteuer, gehört sicher nicht dazu. 

Das Comeback der Reisebüros

Und hier kommen die Reisebüros wieder mächtig ins Spiel. Ok, bei fünstellig-plus Investments in Urlaub waren sie nie richtig weg. Aber noch nie waren die Kümmerer (Sie erinnern sich noch an den alten DRV-Slogan?) so wertvoll wie heute. Alles soll perfekt organisiert werden. Und wenn etwas nicht klappt, dann bitte pronto travel-assistance rund um die Uhr. (Ja gibt es wirklich: Airtours hat jetzt Call-Center rund um den Globus, damit zu jeder Tages-, und Nachtzeit am Urlaubsort ein ausgeschlafener Service-Agent am Hörer ist)

Zukunft der Kundenberatung

So weit, so vorhersehbar. Auch die Erkenntnis, dass der auf die wohlhabende Klientel spezialisierte Stationäre Vertrieb ein neues Look & Feel transportieren muss. Wenn der Preis stimmt, beginnt die Customer Journey schon im Reisebüro des Vertrauens. Es ist ein bisschen so, wie der Unterschied zwischen Kasse und Privat in vielen Arztpraxen. Ein duftendes Hot-Towel zur Begrüßung soll gereicht werden, eine gemütliche diskrete Lounge-Atmosphäre geschaffen sein im Beratungs-Zimmer. Neckische an die Wand gepinnte Bucket-Lists der Urlaubsträume der Expedienten sollen Wünsche schaffen, von denen die Reisenden noch keine Ahnung hatten beim Betreten des Airtours-Kosmos. 

  • Vision des Reisebüros, wie es sein sollte

Schöne neue Erkenntniswelt aus dem Verkaufs-Ratgeber 2024. Ein Schelm, wer denkt, da hat man einfach neuen Wein in alte Schläuche gekippt. Schließlich ist dieses Prinzip der subtilen Käufer-Manipulation schon seit Jahrhunderten jedem orientalischen Teppichhändler in die Wiege gelegt – und der servierte süße Tee samt Gebäck am Platz, noch bevor man sich hinsetzen konnte…

Turbulenzen als Chance?

Lässt sich nun diese Erkenntnis, dass Gastgeber-Qualitäten der Expedienten, gepaart mit kuscheliger Umgebung die Abschlussquote für Reisebuchungen der Kategorie „fast Private Travel“ signifikant erhöhen, auch in den Volumenmarkt skalieren? Natürlich nur bedingt. Und trotzdem war es für mich eine der überraschendsten Erkenntnisse der ITB: Junge Menschen und Reisebüros – das sind mitnichten zwei Universen, die sich nie begegnen. 

Die verunsichernden Zeiten scheinen gerade bei der generell nicht sehr Stress-resilienten Zielgruppe der 25 bis 34Jährigen die Liebe zur Beratung unglaublich zu beflügeln. 34 Prozent von Ihnen möchten ihren nächsten Urlaub gerne auch über ein Reisebüro buchen. Das sind 13 Prozent mehr als alle Befragten, und unglaubliche 20 Prozentpunkte mehr, als die als langweilig Reisebüro-Buchungs-treu angesehenen Best Ager 55+

Neue Kunden durch Krise

Wer hätte das gedacht? Die allgemeine Krise als Jungbrunnen für den Stationären Vertrieb. Die angeblich komplett ans Internet verlorenen digitalen Pioniere der Millennials wünschen sich zu 43 Prozent wieder den Rat von Experten. Viel mehr, als die Reise-erfahrenen Ü55. Von wegen also, Reisebüros seien nur noch der Ort für die Senioren-Landverschickung und ein Auslaufmodell. Aus jeder Krise ergibt sich eine Chance.

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