Zoom aus der Messie Gruft
Die schlimmsten Video-Chat Fehler

Das Frühjahr ist für Reisejournalisten – ähnlich, wie für überhaupt die touristische Branche – normalerweise die entscheidende Phase. Fachmessen knubbeln sich, redaktionelle Inhalts-Pläne werden für das Jahr erstellt, Recherche-Reisen geplant. 

Im Jahr Zwei nach Corona ist das natürlich alles anders. Klar gibt es schon zaghafte Planungen für Berichterstattung. Einerseits ist die Hoffnung noch nicht begraben, dass es kein ganz verlorenes Reisejahr sein wird, aber unabhängig davon: selbst, wenn die touristisch mögliche Welt noch arg beschränkt sein sollte – die Leser, Hörer, Zuschauer möchten sicher wenigstens virtuell ein bisschen träumen – von Zielen, für die man sich noch gedulden wird müssen.

Solche Reisethemen entstehen nun traditionell im Austausch zwischen den Journalisten und den PR-Abteilungen der touristischen Partner. Die Situation ist nicht neu und nicht unumstritten. Aber so lange die Medienhäuser – egal, ob nun Print oder elektronisch – sich weigern, die gesamten Entstehungskosten einer Reise-Reportage zu finanzieren, bleibt dem einzelnen Journalisten kein anderer Weg. Sie oder er muss versuchen, auf der touristischen Seite einen Partner zu finden, der die Recherche unterstützt – ohne sich in die später publizierten Inhalte einzumischen. 

Das mag manchmal einfach sein – wenn das Medium, in dem die Geschichte erscheinen soll, so attraktiv oder von so großer Verbreitung ist (idealerweise beides) – dass nur noch die Details besprochen werden müssen über den Umfang der Recherche. Die Frage des „ob“ stellt sich nicht mehr.

Freie und Eigenvermarktung

Anders ist das natürlich bei den vielen Freien auf dem Markt. Sie müssen in der Regel Klinken putzen. Hoffentlich mit einer guten Story im Kopf sollten sie Begeisterung wecken können in den Redaktionen, aber auch auf Seiten der Touristischen Industrie.  Manchen fällt es leicht. Sie sind als Edelfedern bekannt, oder als Kino-im-Kopf-Radio-Reisende oder als Künstler der filmischen Erzählung. Mit denen möchte jeder zusammenarbeiten. Der übergroße Anteil der „Butter & Brot Beschreiber“ muss aber permanent die Werbetrommel für sich selbst tönen lassen. Und Eigenvermarktung ist das, was die meisten Journalisten – im Gegensatz zu Bloggern oder gar Influencern – hassen, wie die Pest. Vielleicht etwas altmodisch denken Journalisten nämlich immer noch, das einzige, was zählt, ist hinterher das Produkt.

Bei allem Verständnis für Selbstoptimierung… aber ein Webchat ist nicht Instagram…

Wer nun diese Melange der Themenfindung beobachtet, wie ich, seit etwa 40 Jahren, weiss, dass es sich hier eher um eine Choreographie nicht der Fakten, sondern der Gefühligkeit handelt. Benennen wir es ganz offen. Die Chemie muss irgendwie stimmen zwischen der touristischen PR-Seite und den Kolleginnen und Kollegen aus dem Journalismus. Klar gibt es einen Fakten-Check. Und in heutigen Zeiten kann man journalistische Kleinodien der Vergangenheit mit wenigen Klicks recherchieren. Aber letztendlich entscheidet der Bauch, ob ein Journalist die Möglichkeit bekommt, auf alimentierte Recherche zu gehen. Machen wir uns nichts vor: Reisejournalismus – sofern er sich auf Destinations-Features konzentriert – ist eher ein weiches Thema. Da arbeitet die Industrie lieber mit JournalistINNen zusammen, die nicht nur durch Professionalität überzeugen, also ihr Handwerk verstehen, sondern die auch über – nennen wie es mal so – gute Umgangsformen verfügen.

Schall und Rauch

Der Journalist, die Journalistin, muss sich also gut „präsentieren“ können. In der Regel ist das ja auch kein Problem. Man hatte immer so viele Möglichkeiten, sich zu treffen, dass sich vor allem im Bereich der Veranstalter oder der touristischen Destinationen oder Hotelbetriebe mit Agentur oder Büro in Deutschland im Laufe der Jahre eine Grundbekanntheit entwickeln konnte. Es ist ja eine durchaus überschaubare Menge an professionellen JournalistINNen, die sich in diesem Fachgebiet spezialisiert haben.

Was bei einem Chat unter Freunden noch zum Schmunzeln führt, kann in einem professionellen Speed-Dating schnell nach hinten los gehen…

Anders sieht das aus, wenn die gesamte touristische Welt zusammenkommt. Ergo zu Messezeiten. Für einen australischen, asiatischen oder amerikanischen PR-Profi sind die deutschen JournalistINNen erst mal nur Schall und Rauch. Klar wird durch die heimische PR-Agentur schon etwas vorsortiert. Aber machen wir uns nichts vor: im persönlichen Kontakt zum Beispiel im Umfeld der ITB, wo ein Journalist nach dem anderen sein Kaffee-Speed-Dating bekommt, und letztlich immer wieder dieselben Themen-Paletten durch-gesmalltalkt werden, bleibt auf der ausgetauschten Visitenkarte nur noch die Scribbelei von Wert, ob man sich sympathisch fand.

Das Grauen hat viele Gesichter

Und jetzt beginnt das Drama. Seit Monaten gibt es keinen persönlichen Kontakt vis à vis mehr. Dafür gibt es Skype und Zoom, und Microsoft Teams und jede Menge spezieller Konferenzprogramme zum Video-Chat. Und es ist überhaupt nicht polemisch, wenn ich sage, seit Monaten hat das Grauen viele Gesichter. Es ist unbeschreiblich, wie schlampig, unprofessionell, und hilflos sich die Mehrheit der KollegINNen vor der heimischen Computer-Webcam geriert. Es ist Augenkrebs aus der Frühzeit der elektronischen Kommunikation. Und es ist fast unbegreiflich. Zum Beispiel gerade bei Kolleginnen, die sich ansonsten grundsätzlich für jeden Pressetermin „in Schale werfen“ und keck im kleinen Schwarzen, Hochhackig und hübsch zurechtgemacht schaulaufen, greift besonders augenscheinlich das Flodder-Syndrom um sich. Als ob es keinen Spiegel mehr gäbe, oder sie nicht wüssten, dass man in den Chat-Einstellungen auch durchaus mal das eigene Webcam-Bild checken könnte, werden da Bilder gestreamt, die mit Selbstdarstellung nur noch wenig gemein haben – eher mit Desperate Housewifes. 

Der Kardinalfehler im Video-Chat: Von oben herunter schauen auf die Webcam

Nicht, dass das jetzt in die falsche Richtung läuft, die männlichen Kollegen sind da auf keinen Fall besser. Auch da ist die Schludrigkeit in der Regel Programm. Schlecht angezogen, hingelümmelt auf dem Sofa, im Hintergrund das messiehafte Chaos eines „Arbeitszimmers“ oder der kümmerliche Gummibaum, das Licht von der Seite, von hinten, oder von oben spiegelnd auf der Halbglatze, das Notebook oder Smartphone fast immer auf Bauchhöhe, sodass von oben in die Kamera geblickt wird, und man als Betrachter peinlich berührt mitbekommt, welches Sperrmüll-Chaos auf dem Büroschrank oben noch aufgetürmt ist…

Licht, Bild und Ton

Licht? Ist scheinbar Luxus. Der Bildschirm sollte doch ausreichend hell genug sein, die tiefen Augenringe von unten Horrorfilm-mäßig bläulich anzustrahlen… In die Kamera schauen? Warum denn so ein Schnickschnack? Es reicht doch, wenn ich das Webchat-Programmfenster anschaue, das irgendwo auf dem Bildschirm geparkt ist. Guter Ton? Also ich selbst höre mich eigentlich doch laut und deutlich… 

Auch, wenn man es daheim gerne romantisch hätte… kein Licht ist der Tod jedes Webcam Bildes

Ja, es ist auch bis in die höchsten Geschäftsführer-Ebenen oder politischen Mandatsträger eher die Regel, als die Ausnahme, dass das eigenproduzierte Videobild qualitätsmäßig aber auch gar nichts mehr zu tun hat mit der sicher selbst so empfundenen Wichtigkeit. Ich weiss nur zu gut, wovon ich rede, und wieviel Überzeugungsarbeit ich immer leisten muss bei den Touristik-Talks, dass ich meine Gesprächspartner dazu bringe, die Webcam optimal einzustellen, genügend Licht um Raum zu haben und ein halbwegs gutes Mikrophon zu nutzen. Sich vor der Kamera zu präsentieren ist halt für die meisten Menschen eine ungewohnte Stress-Situation, die sie nicht gelernt haben.

Aber es nützt ja nichts. Im Webchat gibt es keine mildernden Umstände. Denn als Zuschauer sind wir durchaus Profi und sehr picky, welches Bild uns gefällt.

Die schlimmsten Fehler

Also liebe Kolleginnen und Kollegen: wenn Sie, wenn Ihr, in den kommenden Wochen bei den vielen Webmeetings und Kamera-Speed-Datings auf der ITB, dem IMM oder einem extra angesetzten Kennenlernen-Chat mit einem Partner aus Übersee so professionell erscheinen möchtet, wie Ihr Euch selbst empfindet, dann bitte unbedingt folgende Regeln beachten:

 

Setzt Euch vor die Kamera genau so, wie Ihr Euch anziehen und zurecht machen würdet, wenn Ihr zu einem persönlichen Meeting fahrt. Kleider machen Leute. Auch im Webchat.

 

Wenn es die Möglichkeit gibt, erstellt vorher ein aussagekräftiges Profil – möglichst auf Englisch – über Euren beruflichen Werdegang, über Eure belieferten Medien, über etwaige Auszeichnungen, mit ausgewählten Arbeitsproben-Links, die sehr gut verdeutlichen, in welchem Stil ihr journalistisch tätig seid. Die meisten Messen und Meetings bieten Profilseiten. Ansonsten diese ein bis zwei Seiten PDF vorab per Mail übermitteln.

 

Immer dran denken bei einer Webcam-Verbindung: Killroy is watching you… every single second…

Seid fokussiert. In der Regel gibt es nur 10 Kern-Minuten für das Gespräch. Durch Euer Profil braucht ihr nicht mehr über Euch selbst zu schwätzen. Kommt gleich auf den Punkt, welches Thema Ihr realisieren möchtet. Eine sehr gute Vorbereitung ist das Elevator-Speech-Training. Stellt Euch vor, Ihr habt 45-60 Sekunden, also eine gemütliche Aufzugsfahrt, Zeit, einen Menschen von Eurer Idee so anzufixen, dass er beim Ausstieg meint, ja, das finde ich interessant. Darüber sollten wir mal wirklich reden…

 

Sucht Euch einen perfekten Platz daheim, von wo aus ihr die Webchats macht. Das muss ja nicht unbedingt der Schreibtisch sein. Wichtig sind vor allem zwei Dinge: ein guter Hintergrund und eine gute Licht-Situation. Genaueres später.

 

Ein absolutes NoGo! ist der Laptop auf dem Tisch, und Ihr schaut von oben in die Webcam. Das wirkt sehr unsympathisch. Und liebe Kolleginnen: da könnt ihr noch so viel Marikka Röck Anti Falten Wundercreme auftragen: ihr habt dann einfach einen hässlichen Truthahnhals. Will keiner. Lösung: stapelt Bücher oder Reisekataloge auf den Tisch, bis der Laptop so hoch ist, dass sich die eingebaute Kamera etwa auf Augenhöhe, oder sogar ein bisschen höher, befindet.

 

Es werde Licht. Das ist seit der Bibel so, und gilt besonders für Webchats. Die Kameras sind in der Regel nur von minderwertiger Qualität. Dazu kommt noch der Qualitätsverlust durch die manchmal schlechte Bandbreite der Internet-Verbindung. Daraus folgt: jedes Bild, das nicht wirklich gut ausgeleuchtet ist, wird unscharf, mit Bildrauschen und sonstigem Anti-Beauty-Effekt übertragen.

Lasst Licht in den Raum. Aber wenn es Tageslicht ist, niemals so, dass das Fenster im Bild zu sehen ist.

Gutes Licht heisst erstens: Wenn man nicht professionell Licht setzen kann, dann dem Zimmer eine gute Grundhelligkeit geben. Tagsüber kann das auch ein Fenster sein. Aber aufpassen, dass das Licht im weitesten Sinne von vorne kommt. Ein Fenster im Sichtbereich der Kamera ist fast immer schlecht und führt dazu, dass Euer Gesicht von der Kamera abgedunkelt wird. Zweitens: Zusätzlich sollte man nach Möglichkeit hinter dem Bildschirm oder hinter dem Laptop ein künstliches Licht haben, das das eigene Gesicht weich von vorne anstrahlt. Vielleicht habt Ihr eine Büroleuchte, die Ihr so platzieren könnt. Und wenn das Licht zu hart oder zu hell ist, wirkt ein locker hängendes Tempo-Taschentuch mit Klebestreifen am Lampenkopf (aufpassen, dass es nicht so angebracht wird, dass es zu heiss werden kann) wahre Weichheits-Wunder. Im Internet kann man für ca 20 Euro kleine batteriebetriebene Kamera-Leuchten kaufen. Die wiegen nur wenige Gramm und lassen sich in der Regel gut am Laptop oder Bildschirm quasi neben der Webcam anbringen.

 

Es werde Bild. Oder besser Hintergrund. Die Kamera befindet sich also auf Augenhöhe. Was habe ich hinter mir? Wie präsentiere ich mein häusliches Umfeld? Was lässt das für einen Umkehrschluss auf mich persönlich zu? Wenn ich die real existierende Situation nehme, dann sollte ich, dann muss ich das wie eine Kulisse sehen und vorbereiten. Wenn das nicht möglich ist, dann den Platz für die Webchats lieber so wählen, dass sich eine neutrale weisse Wand hinter mir befindet.

Unscharfer Hintergrund oder Fototapete. Wenn es zu Hause zu „hässlich“ ist, ein Ausweg. Aber bei Bewegung gibt es schnell unschöne Artefakte im Bild

Wenn das nicht möglich ist, gibt es bei manchen Webchat-Programmen die Möglichkeit, den Hintergrund zu manipulieren. Sehr beliebt ist der Blur- oder Unschärfe Effekt für den Hintergrund. Das sieht im ersten Moment nach der Lösung für alle Probleme aus. Aber Vorsicht: das Live-Erzeugen eines unscharfen Hintergrunds erfordert viel Rechenleistung. In der Folge kann sich die Streaming-Qualität verschlechtern. Und fast immer hat dieser „Trick“ zur Folge, dass es sehr unschöne Artefakte im Bild gibt, sobald Ihr euch bewegt. Das wirkt hochgradig unprofessionell. Und das gilt auch für den zweiten Trick: das manchmal angebotene Austauschen des realen Hintergrundes durch eine Art Fototapete. Solange man nicht die Möglichkeit hat, mit Hilfe der Greenscreen-Technik eine perfekte Stanze zu erzeugen (und dafür braucht man viel Licht), gibt es hier auch sehr schnell diese unschönen Artefakte, die den Zuschauer mehr als irritieren. Zum Schluss: „lustige“ Bildeffekte wirken fast immer infantil, und haben in einem professionellen Webchat wirklich nichts verloren!

 

Der Ton macht die Musik – und vor allem die Sprache. Bei einem kleinen Web Tête à Tête wird das eingebaute Webcam-Mikro sicher ausreichen. Sollte man aber als Panel-Mitglied auf einem Forum sprechen, unbedingt darüber nachdenken, einen guten Ton zu erzeugen. Kleinste Lösung. iPhone Kopfhörer an den Computer anschließen, und sie sowohl als Mikrophon wie auch als Lautsprecher in den Systemeinstellungen anwählen. Das Kabelmikro der Ohrhörer ist nahe am Gesicht, und wird in der Regel einen viel besseren Ton erzeugen. Optimal natürlich, ein USB Mikro an den Computer anschließen. (Apple User können auch sehr gut die kabellosen Airpods nutzen, die sich mit dem Mac problemlos koppeln lassen. Es genügt ein kleiner Hörer, da grundsätzlich das Mikro mit verbaut ist. Die Tonqualität ist erstaunlich gut. Und ein Hörer im Ohr lässt sich unter dem Haar – gerade jetzt…- gut verstecken.)

 

Die Kamera ist das Auge Eures Gesprächspartners. Das hört sich banal an, bereitet den meisten Menschen aber das größte Problem. Neun von zehn schauen beim Sprechen auf das Chatfenster des Programms. Ergo: sie schauen nicht in die Kamera, also ihrem Gesprächspartner nicht in die Augen. So etwas irritiert nicht nur in einer realen Gesprächssituation, und baut unwillkürlich Barrieren auf. Zwingt Euch, beim Sprechen grundsätzlich in die Kamera zu schauen. Kleiner Trick: platziert das Chatfenster unmittelbar unterhalb der Kamera am oberen Bildschirm-Rand. Dann fällt es nicht so auf, wenn Ihr beim Sprechen nicht direkt in die Kamera blickt.

 

Bitte keine Hasenohren oder ähnliches. Finger weg von Effekten.

Gerade wir Journalisten haben den Beruf, Geschichten zu erzählen. Da sollten wir doch auch, wenn es ums Kino im Kopf bezüglich unserer eigenen Person geht, professionell und selbstverständlich mit den neuen Kommunikationsformen spielen können. Wenn nicht wir – wer dann?

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