Statistiken lügen nicht... Immer schön positiv denken beim Sommerurlaub... :-) Illustration © Jürgen Drensek / MJ

100 Zeilen TUI Jubel
Was macht der Sommer 23?

Kommentar: Jürgen Drensek

Man sagt uns Journalisten ja nach, dass wir grundsätzlich auf der Suche wären nach dem Haar in der Suppe. Auch, wenn die Suppe eigentlich ganz lecker sei. Aber irgendwas lässt bei mir kleine Alarmglöckchen klingeln, wenn eine Pressemeldung betitelt ist mit „Sommerferien 2023: Immer mehr Gäste entscheiden sich für einen Urlaub mit TUI“.

Also abgesehen davon, dass man bei so einer stolzen Erfolgsmeldung des unbestrittenen Marktführers sich das Grummeln und Rumoren bei den Mitwettbewerbern mehr als lebhaft vorstellen kann, würde ich (als Journalist) dann gerne valide Zahlen lesen – mit den Vergleichswerten früherer Jahre. Und da fängt die Schieflage schon an… Denn, was soll ich vergleichen? Es gibt die Veranstaltersituation vor der Pleite von Thomas Cook und die danach. Und nach dem Ausscheiden des Zweiten im Ranking kam erst mal Corona – nahezu ohne Veranstalter-Geschäft. Dass mit einem Dickschiff weniger auf dem Markt die anderen Veranstalter zwangsläufig mehr Gäste in ihren Büchern haben, ist streng genommen noch nicht ein Gütesiegel an sich, mit dem man sich brüsten sollte.

Die einzige Zahl in der Pressemeldung übrigens, die das belegen soll, bekommt gratis auch noch den Sonderpreis für die Schwurbel-Perfektion: „Mittlerweile wird etwa jede dritte Veranstalterreise beim führenden Reiseanbieter gebucht.“ Etwa jede dritte… jo mei! Da kann man nur hoffen, dass die Bilanz-Experten in Hannover nicht auch ihre Buchhaltung nach diesem Pi mal Daumen Prinzip zusammenklöppeln 🙂 Abgesehen davon, dass der Begriff „Veranstalterreise“ auch nicht sehr konkret ist, denn er beinhaltet ja nicht nur die 14 Tage Badereise für Familie Mustermann, sondern alles, was beim Veranstalter als Leistung gebucht werden kann; also auch nur Hotel oder nur Transportmittel.

Anyway. Überlesen wir mal die Jubelzeilen, nach denen die Nachfrage GROSS sei, und auch die Kundenzufriedenheit mit Angebot und Service HOCH. Dass man steigende Zahlen an Wiederholern sehe, TREUE Gäste – und dieses sei doch das beste Kompliment, findet TUI Deutschland CEO Stefan Baumert. Angesichts des aktuellen Börsenkurses des Marktführeres sei es der Pressestelle erlaubt, einmal Wohlfühl-Worthülsen kunstvoll zu PR-Girlanden zu knüpfen.

Sonne, Sand und Ferienspaß – wird der Sommer wunderbar? Illustration © Jürgen Drensek / MJ

An einer Stelle möchte man stocken und oha! rufen: da, wo es heisst, die Gästezahlen seien erstmals wieder über dem Jahr 2019. Das wäre ja wirklich eine Meldung, wo doch gerade die Sorge umgeht, dass die Touristik zwar vom Umsatz her wieder mit der vor-Corona-Zeit aufschließen kann, aber beileibe noch nicht mit der Zahl der Menschen, die in Urlaub fahren. Aber auch hier heisst es (leider) wieder, das Kleingedruckte zu lesen: „… in den letzten Wochen erstmals…“

Das alles erinnert ein wenig an die kecken Werbeanzeigen der Kosmetik-Industrie, die ja sehr gerne mit Slogans kommt, wie „94 Prozent der Anwenderinnen sind nach einer Woche begeistert“  – Und fast unlesbar mit Minischrift am Fuß der Seite offengelegt wird: „Evaluiert bei 34 Testpersonen, die ein Gratis-Muster bekamen…“

Also brechen wir die Sommer-Erfolgsmeldung mal auf ihren Kern herunter: Fröhlicher Fakt ist, dass der begründete Pessimismus aus den Wintertagen mit der Angst vor galoppierenden Energie und Verbraucherpreisen doch nicht so durchgeschlagen hat. Die Attraktivität des Reisens scheint nach wie vor so hoch, dass viele Menschen aus der Mittelschicht das angesparte Urlaubsbudget aus den Vorjahren trotz allem auch 2023 wieder investieren wollten in die Sommerreise. Durchaus mit Budget-Bewußtsein, denn das belegen die wirklich guten Verkaufszahlen Branchenweit in den ersten Monaten des Jahres mit den preis-attraktiven Frühbucher-Angeboten. 

Auch die Zielgruppe der nicht nur FDP-nahen „Besserverdienenden“ lässt es wieder krachen – weil man wieder ungehindert reisen kann. Vor allem der Hebel der teureren Reisen, wo man sich überdies jetzt auch noch ein Schippe Glück und Luxus obendrauf gönnt, führt dann in der Gesamtschau zu dem Ergebnis des wieder erreichten Umsatzes 2019. 

Jetzt aber Mitte Juni ist die Ernte des Sommers noch lange nicht eingefahren. „Erst“ die gute Hälfte des Kontingents ist bei der TUI bereits in den Büchern. Will heissen, mal abgesehen von den Kern-Schulferien-Wochen, wo sich jede Badewanne verkaufen ließe, gibt es noch massenhaft Urlaubszimmer bis in den Herbst hinein. Wohl dem also, der antizyklisch reisen kann und keine schulpflichtigen Kinder hat. Dieser Sommer ist noch lange nicht ausverkauft. Nur – auf Super-Schnäppchen sollte man lieber nicht spekulieren. Die höchst verderbliche Ware Urlaub, die ganz schnell weg muss… diese Rabattschlacht gehört der Vergangenheit an – jetzt, mit dem  ausgefeilten Yield-Management der Veranstalter und Fluglinien.