Fiebig fordert Preis-Disziplin
Immer mehr können sich keinen Urlaub mehr leisten

 

Wer Verbandsarbeit macht an vorderster Front, kennt das leicht schizophrene Gefühl: auf der einen Seite erfordert Lobbyismus, das Jammern über die Zustände zu perfektionieren. Denn only bad news are good news, um in die Medien zu kommen. Auf der anderen Seite dürsten die eigenen Mitglieder nach Seelen-Massage, dass sie doch einen hervorragenden Job machen – weswegen die Branche auch so erfolgreich sei.

So musste auch Norbert Fiebig auf dem Hauptstadt-Kongress des DRV lavieren zwischen Erfolgsmeldungen (Rekord-Ergebnis beim Umsatz, Beweis der Krisen-Kompetenz vor allem zugunsten der Pauschalreisenden) und Kassandra Rufen beim Blick in die Zukunft.

Es ist nicht leicht mit Prognosen. Ja, es scheint so, als sei die Reiselust der Deutschen grenzenlos und nicht kaputt zu bekommen. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass sich immer mehr Deutsche den Urlaub nicht mehr leisten können. 16 Prozent Rückgang bei den Pax-Zahlen; das ist schon dramatisch. Hat die Demokratisierung des Urlaubs ein Ende gefunden? Die Situation, dass die Industrie es ermöglicht hat jahrzehntelang, dass durch gute Preis-Verhandlungen nahezu jeder sich Reisen erlauben konnte?

Unabhängig vom erstaunlich hohen Nachholbedarf nach Urlaub in diesem Sommer, der so gute Umsatz-Zahlen generierte, aber eingedenk der Tatsache, dass viele Familien derzeit mit einem monatlichen Kaufkraft-Verlust von bis zu 500€ konfrontiert sind, wäre es leichtsinnig, auf ein „weiter-so“ zu vertrauen, dass die Reisebranche auch künftig nur einen Weg kennt: Jahr für Jahr neue Rekorde.

70 Prozent der Deutschen haben sich angeblich einer Umfrage zufolge vom Mantra verabschiedet, dass – egal, was auf der Welt passiert – Deutschland am Ende gestärkt daraus hervor geht. Und weitere statistische Zahlen untermauern diesen Pessimismus: schon bald werden jedes Jahr doppelt so viele ältere Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden, wie junge in den Berufsstand eintreten. Kurzfristig mag das noch schön sein für die Reisebranche. Denn die fidelen Alten aus der Babyboomer Zeit haben dann viel Zeit (und Geld) für Urlaub. Aber irgendeiner muss es bezahlen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass unsere Lebenserwartung (und damit auch Rentenzeit) jeden Tag um rund sechs Stunden anwächst…

Bereits heute sollen 2,4 Millionen Deutsche zwischen 18 und 34 keinen Berufsabschluss haben; Hunderttausende unter 25jährige beziehen Bürgergeld. Das sind alarmierende Zahlen für eine Branche, die schließlich nichts Werterhaltenes produziert, sondern nur wenig nachhaltige Träume verkauft, die man sich, wenn man kann, on-top vielleicht leisten möchte…

 

Bewegte Zeiten also. Und nach wie vor leidet die touristische Industrie darunter, dass sie trotz aller warmen Grussworte auf Tagungen wie dieser von der Politik nicht so recht ernstgenommen wird. In Deutschland wird grosszügigst Standort Politik gemacht mit Milliarden Subventionen, die sich nie auszahlen werden. Aber die Touristik sieht sich stattdessen eher permanent in einer Abwehr-Situation, wohlfeilen Verbraucher-Schutz (der von der Politik gerne unterstützt wird, weil er den Staat nix kostet) auf Machbarkeit zu hinterfragen.

Kann es nur dazu kommen, weil die Branche angeblich aus Politiker-Sicht nicht Kampagnenfähig sei, da so kleinteilig durch Partikular-Interessen gelähmt und kakophonisch auftretend? Würde man mehr erreichen mit nur einer kraftvollen Stimme eines neuen „Super-Verbandes“, die für alle spricht? Ein solcher Vorschlag wurde in den Tagen vor dem DRV Hauptstadt-Kongress von der VUSR-Vorsitzenden Marija Linnhoff lanciert. Hört sich oberflächlich betrachtet charmant an; eine solche Alleinstellung in der Positionierung zu allen Herausforderungen der Branche ist aber schlicht undenkbar. Dafür ist die Touristik zu komplex und die Interessenslagen der Player zu uneins. 

Da müssen viele unterschiedliche Bretter gebohrt werden. Welche? Darüber unterhalte ich mich im Reiseradio-Podcast mit DRV Präsident Norbert Fiebig.

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