Ja, es gibt ihn tatsächlich noch, diesen einen Ort auf der Welt, wo man täglich mehrmals Unterwasser Meerjungfrauen bestaunen kann. Arielle in Live sozusagen. Wo das sein könnte? Wo sonst, wenn nicht in Florida, dem Sunshine State, dem unernsten und oft mega-kitischigen südlichen Wurmfortsatz der USA…
Dort gibt es, etwa eine Autostunde nördlich von Tampa, also auf der Seite des Golfs von Mexiko, an der Küste einen Ort namens Weeki Wachee. Nein, das ist nicht ein durchgeknallter Marketing-Name; das Dorf (eine der kleinsten Gemeinden Amerikas) heisst wirklich so. Weeki Wachee kommt aus der Sprache der amerikanischen Ureinwohner, und bedeutet so viel, wie „kleine Quelle“. Und damit sind wir schon mittendrin in der Geschichte.
Unterwasser-Gebirge unter Florida
Ähnlich, wie auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan, ist auch der Untergrund großer Teile Floridas ausgestaltet, wie ein poröser Sandstein-Schwamm. Unter der Oberfläche befinden sich riesige Süßwasser Vorkommen. Und manchmal bricht eben der Boden ein – oder die Decke, je nachdem, aus welcher Perspektive – und ein Quelltopf entsteht. Ein mehr oder weniger großer Tümpel, in den aus der Tiefe das Wasser hoch sprudelt. Über 700 solcher Quellen gibt es in Florida. Viele an der Westküste, wo sich das Wasser letztendlich in den Ozean ergiesst; manchmal auf verschlungen Wegen – siehe Everglades.
Weeki Wachee ist nun so ein Quelltopf. Sogar ein sehr starker. Etwa 600 Millionen Liter dringen jeden Tag aus 40 Meter Tiefe nach oben. Das sind unglaubliche 440.000 Liter pro Minute. Eine Menge Badewannen. Für die Städte Tampa und St. Petersburg eine Trinkwasser-Reserve.
Und wenn der amerikanische Marinetaucher Newton Perry nach dem 2. Weltkrieg nicht die völlig spinnerte Idee gehabt hätte, in diesem Quelltopf richte ich ein Unterwasser-Theater ein, dann wäre Weeki Wachee heute eben auch nur eine der über 700 Quellen; interessant für Wissenschaftler und Höhlentaucher und ein paar Wassersportler oder Plantscher.
Tarzan war der Anfang
Kleiner Rückblick: Perry war schon zu Schulzeiten ein Schwimm-, und Tauch-Enthusiast. 1939 wurde er dann Berater und Stuntman für den MGM Film „Tarzans Sohn“. Auch 1941 beim Film „Tarzans geheimer Schatz“. Zwei aus heutiger Sicht lächerlich-skurrile Spin-Offs der Ursprungs-Geschichte aus Hollywoods Traumfabrik für die schnelle Unterhaltung. Und dann gab es noch einen glücklichen Umstand: Universal suchte einen Drehort für einen Meerjungfrauen-Film mit William Powell als Mr. Peabody. Und Newton Perry war wieder im Geschäft mit seiner Weeki Wachee Quelle, die er mit vier Investoren für 25 Jahre gepachtet hatte.
Die Idee nach den Dreharbeiten: Bauen wir doch einen Unterwasser Ausguck – am Anfang war es wirklich nicht viel mehr – und lassen die Menschen bequem zuschauen, wenn hübsche Mädels unter Wasser Kunststückchen vorführen. Die Idee wurde Realität: seit 1947, also seit über 75 Jahren, gibt es die „Mermaids of Weeki Wachee“.
Nixen Alarm an der Strasse
Anfangs mit wirklich großem Erfolg. Denn direkt neben der Quelle führte die Bundesstrasse US 19 vorbei. Damals die Hauptverkehrsader, um vom Norden kommend an die Strände Floridas zu fahren. Weeki Wachee war eine richtige Roadside Attraction; ein Tankstopp mit Entertainment für die ganze Familie. Dazu trugen natürlich auch die Meerjungfrauen bei, die zwischen ihren Vorstellungen gerne mal im Nixen-Kostüm an der Strasse posierten – mit nachvollziehbarem Erfolg. Weeki Wachee entwickelte sich in den Fünfzigern schnell zu einem Must-Go. Bis zu 10 Vorstellungen gab es am Tag. Kein Wunder, dass die Großen des Entertainments darauf aufmerksam wurden. 1959 kaufte ABC den Park und investierte eine Million; vor allem in ein größeres Theater. Endlich wurden auch die Meerjungfrauen ordentlich bezahlt und schwammen nicht mehr für ein Essen und einen Badeanzug vor der Scheibe.
Alles in allem hört es sich bis hier an, wie eine der typischen amerikanischen Erfolgsgeschichten. Aber mitnichten. Zeitsprung Anfang der Siebziger.
Die böse, böse Maus
Der Beinahe-Untergang kam mit der Maus. 1971 wurde in Orlando Disney World eröffnet. Gegen so eine Unterhaltungs-Maschine konnte man nicht konkurrieren. Außerdem gab es nun, einige Meilen mehr im Landesinneren die Interstate 75. Die Landstrasse 19, an der Weeki Wachee liegt, verlor massiv an Bedeutung. Und von der Autobahn hätte es mindestens einen Umweg von einer halben Stunde bedeutet, einen Abstecher nach Weeki Wachee zu machen. Schlecht für eine Roadside Attraction, die man gerne mal eben so mitnimmt. Spätestens mit der Eröffnung von Bauabschnitt 2 bei Disney, dem Epcot-Center waren die Meerjungfrauen-Shows dann in den Augen vieler Florida-Besucher zu leichtgewichtig für einen Zwischenstopp. Die Nixen liefen Gefahr, zu einer aussterbenden Spezies zu werden.
Schwimmen oder untergehen
Anfang der 2000er Jahre gab es schließlich einen Plan, die Attraktion zu retten, aber dieser scheiterte am Geld und fehlenden Investoren. Die Einwohner von Weeki Wachee entschlossen sich daraufhin, die Attraktion selbst weiterzuführen – aber wie geht das bei einer Gemeinde von so wenigen Menschen und einem Mindestetat von über 40.000 Euro jährlich, die für einen Betrieb benötigt würden?
Bürgermeisterin Robyn Anderson, selbst ehemalige Meerjungfrau, wurde zur General Managerin, und versuchte, mit großem PR-Engagement, Weeki Wachee wieder zu einem Thema zu machen… Schöne Frauen unter Wasser, das zog… „Schwimmen, oder untergehen“
Die Meerjungfrauen-Shows konnten weitergeführt werden. Die Gemeinde schenkte dann das Anwesen 2008 dem Florida State Park. Und das ist bis heute so. Ein Naturpark mit Entertainment. Ein Geschenk für die Florida Besucher von heute, die sich inspirieren lassen möchten, wie der Tourismus vor über 70 Jahren im Sunshine State sich entwickelte.
In meiner Film-Reportage schaue ich mich einen Tag lang mit der Kamera um im Meerjungfrauen-Reich – über und unter Wasser. Mit vielen Backstage Einblicken, die kein Besucher haben wird. Mit historischen Aufnahmen und spannenden Eindrücken aus der Höhlenunterwelt, die unter dem Quelltopf verborgen liegt. Willkommen in der Welthauptstadt der Meerjungfrauen.
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