Rückblick: Ende der 70er Jahre, ich mit 19 Jungredakteur bei der Aachener Zeitung. Damals hatten wir eine Redaktionssekretärin, die eigentlich nur noch an der Schreibmaschine saß, weil sie sich daheim langweilte. Papa ante portas, sozusagen, und der Lohn fürs Tippen war für sie eher Taschengeld, um sich unter anderem immer très chic kleiden zu können, wie sie nicht müde wurde, zu betonen.
Aber da gab es jedes Jahr noch ein Ritual, so Ende Januar: ihre Rückkehr vom ausgedehnten Weihnachtsurlaub. Das war echt immer eine Show, wenn die Dame sonnenbraun getoastet Hof hielt mittags in der Kantine mit Reiseerzählungen aus 1001 Luxus-Nacht. Wie gesagt, Ende der 70er, da war für normale Arbeitnehmer der Exotik-Faktor in Punkto Ferien noch überschaubar. Aber sie war mit ihrem Mann immer in fernen Welten. Sicher nicht abenteuerlich. Die vielen Fotos, und es waren wirklich viele Fotos, zeigten eher Urlaubserlebnisse der Kategorie „goldene Wasserhähne“.
An ein Statement kann ich mich noch gut erinnern bei ihrem Schwelgen zwischen Limousinen-, und Butler-Service: Sie und ihr Mann würden ja nie mit dem gemeinen Volk in so einen Charterflieger steigen. Für sie käme nur „Urlaub mit Linie“ in Frage, ergo Airtours. Und der Chefredakteur, der seit Jahren seinen Urlaub im Sauerland verbrachte, bekam immer ein leichtes Zucken im Gesicht.
Zeitsprung: einige Jahre später, ich noch im aktuellen Nachrichtengeschäft als TV-Moderator. Der Lebensgefährte meiner Mutter war Reiseleiter. Aber mitnichten bei einem Veranstalter für die reguläre Landverschickung. Nein, er war Airtours Repräsentant, praktischerweise auf den Seychellen, deren sozialistischer Regierungschef Albert René kurze Zeit vorher in einer quasi Nacht- und Nebel-Aktion alle Charter-Veranstalter aus seinem Inselreich verbannte, weil die „normalen Urlauber“ zu wenig Geld außerhalb der Hotels ausgeben würden… Wie schön, dass der Freund meiner Mutter eine gemütliche Villa mit Garten auf Mahé hatte als Wohn-, und Dienstsitz. Meine Liebe zu den Seychellen bis heute fand da wohl ihren Anfang…
Airtours ist also in meiner DNA – viel später dann selbst als Reisejournalist – durchaus eingebrannt als Synonym für den Urlaubstraum, wie im Märchen oder im Kitschfilm. Aber schon interessant, dass damals alleine schon der Linienflug und damit einhergehend die Flexibilität bei der Reiseplanung ausreichte, um „exklusiv“ zu sein. Baustein war halt etwas Besonderes in einer Urlaubs-Industrie, die sich noch weitgehend in Ferien mit 7, 14, 21 Tagen organisierte. Solche Einschränkungen waren bei Airtours undenkbar. Kombiniert mit den gefühlt fast nur 5-Sterne-Herbergen im Katalog agierte man in seiner High-End-Nische. Und die Gäste pappten stolz den dunkelblauen Kofferanhänger ans Gepäck. Nebenbei, untrügliches Signal für potentielle Langfinger beim Flughafen-Umladen, dass in der Hartschale oder dem Louis-Vuitton-Behälter nicht nur Billigkram zusammengelegt sein dürfte…
Der Koffer-Anhänger ist mittlerweile schwarz und edel. Der Veranstalter, mittlerweile Teil der TUI, noch edler. Über Sterne redet man gar nicht mehr, die setzt man im übertragenen Sinne voraus, weil es etliche Herbergen gibt im Portfolio für 5000 Euro plus pro Nacht, bei denen es sich eine Behörde nie getraut hätte, allein nach amtlicher Kriterien-Strichliste Hotelsterne neben die Eingangstür zu nageln.
Es geht nur noch um Erlebnisse, um die besonderen Momente im Leben, wie immer man diese auch definieren mag. Only the sky is the limit. Zumindest momentan noch.
Für Menschen ohne Kredit -Limit auf ihrer Kreditkarte hat sich das St. Regis Vommuli auf den Malediven – unlängst bei den World Travel Awards zum weltweit führenden Luxus-Insel-Resort gekürt – jetzt etwas Besonderes einfallen lassen: warum nicht einfach die ganze Insel mieten für ein paar private Robinson Crusoe Tage? Ok, es ist zugegeben eher ein Angebot für Menschen, die sich depressiv fühlen, wenn nicht mindestens 150 „Freunde“ um sie herum sie bespaßen. Aber es soll in dieser Welt ja auch Leute geben, die die ideale Hochzeit mit unmittelbaren Flitterwochen so definieren würden. Anyway: das private Insel-Erlebnis beginnt ab 350.000 Dollar. Pro Nacht natürlich. Food & Drinks natürlich nicht inklusive. Für jeden Travel-Designer von Airtours und Co wahrscheinlich der feuchte Traum schlechthin, so einen Kunden mal am Counter zu haben…
Die happy few, die sich theoretisch jeden Urlaubs-Preis leisten könnten, wenn sie denn wollten, waren – ja, mit welchem Recht, lamentiert da die linke Seele – auch in Krisenzeiten immer wie Fettaugen, die oben auf der Suppe schwimmen. Von daher, gesegnetes Airtours, ist man versucht, zu sagen; war Covid oder Krieg doch für die Stammklientel eigentlich kein Hindernis. Monetär wahrscheinlich nicht, aber zum Beispiel Covid mit seinen unzähligen Reisebeschränkungen war gerade für die Besserverdienenden psychologisch eine echte Herausforderung. Denn auf einmal galt nicht mehr: Ihr Wunsch ist mir natürlich Befehl… Menschen, die es gewohnt waren seit Jahrzehnten, dass kein „Nein“ oder „geht nicht“ akzeptabel ist, wenn man etwas buchen möchte, da Geld schließlich verlässlich die Welt regiert, mussten sich der normativen Kraft des Faktischen beugen. Nämlich Gesundheitsregeln, die niemand aushebeln konnte und Unwägbarkeiten, die schnell zum Reisestress werden konnten.
Von daher wittert das kleine, aber ertragreiche Luxus-Reise-Segment seit einigen Monaten wieder Morgenluft. Jetzt darf man wieder schwelgen, auch das Angebot ist zurück auf dem Markt – und Geld ist schließlich genug vorhanden wegen des einen oder anderen ausgefallenen Urlaubs der letzten Jahre.
Bei Airtours steigen gerade die Umsätze überproportional zum Gesamt-Reisemarkt. Das hängt auch damit zusammen, dass nicht nur „altes Geld“ der Babyboomer und Silberfüchse wieder etwas egozentrischer verprasst wird. Die Luxus-Liebhaber wachsen erstaunlich derzeit vor allem in den jungen Zielgruppen. Ob nun die „Modernen“ der Generation X oder die „Hungrigen“ der Millenials – sie alle wollen vor allem exklusive Erlebnisse, die nicht schon jeder im Bekanntenkreis gemacht hat.
Und die Generation Z, also die 16 bis 27jährigen? Menschen, für die ein Reisebüro scheinbar nur ein Relikt aus alten Tagen ist? Von wegen: die sind besonders anfällig für die Verführungen, mit denen sie jeden Tag auf den Sozialen Netzwerken konfrontiert werden. Diese perfect shots, bis zum Anschlag Bild-optimiert, die sich schnell zu einer bucketlist der Reiseträume auftürmen. Und da diese Generation sich nicht gerne anstrengt, feiert, wenn Geld vorhanden ist, die persönliche Reisebüro-Beratung und das Abwälzen der Organisations-Kleinarbeit auf einmal wieder ihr Comeback: Pauschalreise 2.0 sozusagen. Reise-Erlebnisse ja, unbedingt, aber bitte ohne Mühsal und mit der Sicherheit, sich um nichts kümmern zu müssen, außer um den perfekten Instagram Shot…
Airtours, stellvertretend für das Luxus-Reise-Segment, kann also in der Post-Covid Phase wieder mit Optimismus in die Buchungs-Masken schauen. Der Winter ist vom durchschnittlichen Umsatz her schon wieder besser, als der Winter 2018/19; der Sommer lässt auch berechtigt hoffen, wo nahezu die ganze Welt wieder offen steht.
Und wer hätte es gedacht, dass die Kriterien „kein Handy-Empfang, kein WLAN, kein TV auf dem Zimmer“ in diesem Segment beileibe nicht den Buchungs-Ausschluß beschreiben, sondern den Ritterschlag für den wahren Luxus…?