Der Katalog ist tot
FTI mit inspirierendem E-Mag

Aus den Ruinen blüht das Leben… Und aus den Ruinen dieses desaströsen Reisejahres 2020 mit noch sehr gedämpfter Hoffnung auf Besserung erwuchs nun eine gestalterische Innovation, die eigentlich schon seit Jahren überfällig war, technisch auch längst hätte gemacht werden können, und die vielleicht den Reisevertrieb in Deutschland in eine Phase 3.0 führen wird.

FTI präsentiert sein E-Mag mag.fti.com als Alternative zum klassischen, gedruckten Reisekatalog. Es ist im Grunde genommen zwar nur eine Webseite. Aber in ihr steckt ein gesellschaftliches Potential, wie zum Zeitpunkt, als Steve Jobs das erste Apple iPhone präsentierte als Alternative zum Telefon.

Was ist nun das Besondere an dieser Webseite? Zum ersten Mal wagt sich ein großer Veranstalter an die Emotionalität – die eigentlich doch unabdingbar ist für eine Reiseplanung. Schaut man sich nämlich die existierenden Internetpräsenzen der Top 5 an, ist Augenkrebs noch die kleinste unangenehme Nebenwirkung. Unter uns Touristik-Profis brauche ich jetzt nicht ins Detail zu gehen: die Seiten sind unter dem Aspekt Nutzerführung und Customer Experience eine mittlere Katastrophe. 

Das würde alles noch angehen für einen Internet-Billigheimer, einen digitalen Huckepack-Verkäufer, der sich nur auf irgendwelche Datenbanken setzt und sein Publikum im weiten Feld der Schnäppchensucher verortet.

Aldi statt Dallmayr

Aber wenn man bisher träumte, in den virtuellen Feinkostläden der etablierten Veranstalter würde man so ein Feeling spüren, wie bei der TV-Dallmayr-Werbung mit gestärkter Schürze, Lächeln und eingebildetem Kaffeeduft, dann geschah das Aufwachen doch eher in der Aldi-Nüchternheit frugaler Hotellisten und blutleerer Beschreibungstexte.

Inspiration? Null. Zielsicheres Auffinden eines Wunschhotels? No. Verlässliche Volltext-Suche? Ach nee! Angesichts der Geldmittel der Veranstalter und der sicher auch klugen Köpfe, die für die Internet-Abteilungen angeheuert wurden, konnte man sich des bösen Gedankens nicht erwehren, die Seiten sollten bewusst schlecht sein. Einfach aus Panik vor dem Unmut des Stationären Vertriebs – der natürlich tief verwundet aufheulen würde bei einem Veranstalter, der das Buchungserlebnis im Internet so schön macht, dass es vielleicht sogar noch inspirierender ist, als der Besuch in einem nicht so engagierten Reisebüro. (Ja, man hört immer wieder, so etwas soll es tatsächlich auch geben…)

Zugegeben: in der jüngsten Vergangenheit noch vor Corona gab es leichte Besserung. Auch die Verzahnung Online Offline war keine unerfüllbare Raketenwissenschaft mehr. Trotzdem blieben die Welten im Kern sauber voneinander getrennt: wer Beratung braucht oder schätzt, geht ins Reisebüro seines Vertrauens, die anderen tummeln sich auf den virtuellen Reisemarktplätzen.

Den Veranstaltern war es – vor Corona – relativ egal, über welche Hand die Buchung rein kam. Und es ist ja auch kein Geheimnis, dass der überwiegende Teil des Online-Umsatzes nicht über die hauseigene Webseite erfolgte, sondern über das Verkaufen des Angebots durch Dritte.

Ein Herz für Bäume

Nun wagt FTI den Bruch. Natürlich auch finanziell getrieben durch die Beinah-Pleite im letzten Corona-Jahr. Aber auch vielleicht denkend, wenn nicht jetzt, dann nie. Hatte man die etwas anachronistischen Kataloge schon längst durch die mittlerweile unsinnigen Preistabellen entrümpelt, gibt man ihnen jetzt die Chance, in ihrem früheren, glücklichen Leben zu bleiben: als Baum. Und es sind derer viele: in einer guten Saison bedruckte FTI zirka 1,6 Milliarden Seiten. 

Nun also so gut wie keine Kataloge mehr, sondern das E-Mag. Zum Glück verbirgt sich dahinter nicht die Versenker-Lösung: die Druckfahne eines Katalogs als blätterbares PDF ins Netz zu stellen. Und zum Glück wurde nicht wieder der App-Store mit einer uninspirierten Mobil-App zugemüllt.

Nein, das FTI E-Mag ist wirklich eine ganz normale – natürlich responsive – Webseite, die auf allen Geräten läuft – und nebenbei auf allen Geräten auch erstaunlich gut ausschaut. Alle Preise und Informationen werden – logisch – fast stündlich aktualisiert. Es gibt nette Gimmicks, wie die Zielsuche nach aktuellem Sonnen-Wetter und Kuschel-Temperatur oder die Best-Preis-Prognose in der Jahresübersicht.

Aber Kern ist die intuitive Nutzerführung, die sich anfühlt, wie ein Besuch im Reisebüro, wenn ich eigentlich noch keine Peilung habe, wo es hingehen soll. Das alles unterstützt von schöner, manchmal vielleicht ein bisschen zu verspielter, mäandrierender Grafik, aber Appetit-machend mit guten Bildern, und Goodies, wie integrierten Reisetipps, Rezept-Ideen, Blogs, Podcasts, und was es sonst so gibt als digitalem Schnickschnack. Ich vermute, angesichts des hauseigenen TV-Senders Sonnenklar, dass bald auch filmische Impressionen Bestandteil der Web-Wundertüte werden. 

Endlich eine Veranstalter-Webseite, bei der es Spaß machen könnte, eingekuschelt im Sessel, auf dem Tablet auf virtuelle Reise zu gehen. 

Ein Kessel Buntes

Natürlich geht es auch um Conversion. Um den Abschluss. Denn nur gucken und sich inspirieren lassen – so altruistisch ist auch FTI nicht. Beim Stöbern durch die Reisewelt kann man seine Favoriten markieren, um letztendlich am Ende des Inspirationsprozesses und unter Berücksichtigung des Budgets hoffentlich auch zu buchen.

Hier ist auch noch der schwache Bereich des E-Mags. Einmal die Auswahl. Der aktuellen Situation mit eingedampftem Angebot geschuldet, fühlt es sich oft noch nicht so an, wie ein Kessel Buntes, wie das endlos sprudelnde Füllhorn, das man bei den großen Veranstaltern immer voraussetzt. Mittelfristig soll zwar das gesamte FTI Portfolio eingepflegt werden. Momentan ist es noch übersichtlich. Und die Filterauswahl für Traumziele liefert manchmal noch unfreiwillig komische Ergebnisse. So zum Beispiel, wenn man den Wunsch Asien und Wellness eingibt. Eigentlich eine sichere Bank für viele Angebote. Nur leider nicht im FTI E-Mag. Da gibt es scheinbar nichts, was ich buchen könnte… Sicher sind das noch Kinderkrankheiten.

Schwer nachvollziehbar aber der Verzicht, dass Nutzer ihren eigenen Passwort geschützten Bereich anlegen könnten. Da hat man sich wohl keine Gedanken gemacht, wie daheim der Prozess einer Urlaubsbuchung stattfindet. Was nützt es, wenn Mutti vormittags beim zweiten Kaffee fleissig Merk-Herzen für Hotels vergibt, aber abends beim Familienrat, wenn die Seite wieder aufgerufen wird, davon nichts mehr da ist, und die Klickerei von vorne beginnen muss…?

Hier muss schleunigst nachgebessert werden für eine gute Customer-Experience. 

Umso unverständlicher, weil es in diesem Zustand auch nur schwer möglich ist, bereits daheim eine gute Vorauswahl zu treffen, und mit dem Tablet unter Umständen ins Reisebüro zu marschieren für letzte Abstimmungen und Buchung dort, falls das dem Reisenden lieber ist. Kostet schließlich dasselbe. 

Und aus Marketingsicht geradezu ein größter anzunehmender Unfall, die Besucher nicht sanft zu drängen, sich in ihren persönlichen E-Mag-Bereich einzuloggen. Auf welchen Datenschatz der Vorlieben verzichtet man da…? Ich möchte mal vermuten, an diesem Bereich werden die Programmierer in den kommenden Wochen Nachtschichten einlegen, um diese in der Kritik fehlende Funktion nachzubessern.

Chance für Vertrieb

Wie ist nun das Fazit zu mag.fti.com – etwas pathetisch würde ich sagen, da ist ein Traum wahr geworden aus Konsumenten-Sicht. Ich weiss gar nicht mehr, wie oft ich dieses Gespräch schon bei vielen Veranstaltern geführt habe, wenn wir im kleinen Kreis über ihren Web-Auftritt sprachen. Wie sehr die Emotionalität fehlt, die spielerische Möglichkeit, seinen Lieblingsurlaub zu entdecken. Natürlich gab es schon Versuche. Ich erinnere mich an die ambitionierten redaktionellen Ideen des Luxusveranstalters Airtours. Alles von den Rotstift-Strategen eingestampft, bevor es auch nur ansatzweise aufblühen konnte. Schönes Internet galt bis Corona als verzichtbarer Luxus. Auch vor dem Hintergrund eines Burgfriedens mit dem Stationären Vertrieb. 

Von daher ist FTI mutig, dieses E-Mag zu launchen – und gleichzeitig die Katalog-Produktion bis auf einen kleinen Rest einzustellen. Einen kleinen Aufschrei wird es sicher geben. Aber ich denke, das sollte man aushalten. Und lieber die Chance sehen, das E-Mag auch in der Kundenansprache im Reisebüro zu nutzen. Mehr Eindruck macht es sicher, sich als Expedient gemeinsam mit dem Urlauber durch opulente Bilderwelten am Tablet durchzuklicken, als in öden Katalogen zu blättern. Und weniger Platz im Regal braucht es auch. Nachhaltigkeit soll ja angeblich laut Zukunftsforscher ein Megatrend werden. Irgendwann mal nach Corona. Ein kleines Wäldchen pro Saison dankt es FTI schon heute.

 

 

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