Hand aufs Herz: welche Beziehung haben Sie heute noch zu Landkarten? Spätestens seit dem segensreichen Einzug des Navis, das dem Autofahren in fremden Gefilden so viel Stress nahm, dürften die hass-geliebten Papiermonster bei den meisten Menschen nur noch ein kümmerliches Dasein in der Schublade fristen.
Und selbst, wenn man gar nicht die Präzisions-Strassenkarte benötigt, sondern nur mal schnell einen Überblick zu einem Land haben möchte, führt der Weg nicht mehr zwangsläufig zum Regal mit Dierkes Weltatlas oder in die nächste gut sortierte Buchhandlung, sondern eher an die Maus und die Computer-Tatstatur. Google Maps ist der Bequemlichkeit erste Wahl. Kein mühsames Entfalten mehr, kein Jonglieren über den immer zu kleinen Tisch, kein Suchen nach der Lesebrille, um irgendeine kleine Beschriftung noch entziffern zu können.
Nein, für den täglichen Gebrauch ist die digitale Karte heute Weltstandard. Und selbst auf Schiffen und in den Pilotenkanzeln der Flugzeuge hat sie das Papier schon längst abgelöst.
Und trotzdem macht es auch digital Spaß, bei Google Earth mal vom Flachen ins Runde zu wechseln. Quasi, wie ein Raumgleiter aus dem All die Erde zu umrunden, um dann im Sturzflug hinunter bis kurz vor das eigene Haus zu rasen. Oder einen virtuellen Flug zwischen zwei Punkten zu unternehmen, und vielleicht zum ersten Mal zu begreifen, warum die Flugzeuge an Grönland vorbei huschen, um von Frankfurt nach New York zu fliegen – das doch eigentlich auf Höhe Madrid liegt.
Aber kann man das nur digital erleben so richtig? Natürlich nicht. Jahrhundertelang war es zumindest den höheren Kreisen, der Politik und der Wissenschaft vorbehalten, die Weltkugel in ihrer Gänze an Hand eines Globus zu begreifen. Im letzten Jahrhundert wurde es zunehmend ein geografisches Vergnügen für Jedermann, und der Anschauungs-Globus ein natürlicher Unterrichts-Gegenstand zumindest auf höheren Lehranstalten.
Auch der Columbus-Verlag klebt seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts die kleinen Welten zusammen. Anfangs war das noch bemalter Gipskarton, danach Pappe mit kaschierter Papier-Auflage. Der erste Glasglobus der Welt wurde bei Columbus gefertigt, und auch der erste Leuchtglobus, der gleich zwei Erd-Darstellungen anbot: einmal die politische mit den Ländergrenzen und dann im Lichtschein von innen die geografische mit all den Bergen und Flüssen und Tälern.
Der Columbus-Verlag, der in Berlin seinen Anfang nahm, hat heute seinen Firmensitz in der südlichen Schwäbischen Alb, im beschaulichen Krauchenwies. Ein unscheinbarer Zweckbau hinter dem Gleisgestrüpp des schon lange stillgelegten Bahnhofs der abgelegenen Gemeinde. Und man würde nicht vermuten, dass sich hier die älteste Globus-Manufaktur der Welt befindet.
Die Firma hat viele Höhen und Tiefen hinter sich. Spätestens in den wilden 90er Wendejahren schien das Aus unvermeidlich. Die Wiedervereinigung Deutschlands, der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Grenzverschiebungen im Balkan. Die dauernden Grenzveränderungen waren kartografisch kaum noch erfassbar und aktuell zu halten. Der Markt für teure Globen brach in derselben Geschwindigkeit zusammen, wie das Internet seinen Höhenflug begann.
Doch seit einigen Jahren gibt es wieder eine Renaissance für kunstvoll gefertigte Globen. Heute sind sie natürlich in einer Präzision und Informationsdichte, die früher unvorstellbar war. Und sie werden digital aufgerüstet. Man kann sie mit einem speziellen Multimedia-Stift berühren und erfährt sofort gesprochene Fakten zu dem Land, hört die Nationalhymne oder bekommt kurze Filme auf das Tablet oder Smartphone gestreamt.
In meiner Filmreportage aus der Globus-Werkstatt zeige ich, wie viele präzise Schritte es braucht, bis diese kleinen Erdkugeln hergestellt sind. Wir lassen uns von der tatsächlichen Größe von Grönland überraschen, entdecken den transatlantischen Graben, aus dem ich an einer ganz besonderen Stelle auch spektakuläre Unterwasser-Filmaufnahmen eingefügt habe und lösen die Quizfrage, in welches afrikanische Land ganz Westeuropa fast mühelos hineinpassen würde.
Ach ja, noch ein „Fun-Fakt“. Auch ein bestimmter Herr mit Schnauzbart war von den Columbus-Globen hingerissen. Er bestellte gleich vier Stück mit über einem Meter Durchmesser für die Reichskanzlei, den Obersalzberg und die NSDAP Zentrale in München. Alle natürlich in den Staatsgrenzen, derer er sich in seinem Größenwahn schon sicher fühlte. Charlie Chaplin nutze Hitlers Hang zur Gigantomanie dann für seinen Satirefilm „der große Diktator“, als er das absurde Ballett des Masssenmörders mit dem riesigen Globus persiflierte, bis die Welt vor dem Gesicht des Diktators platzt.
Um die Filmreportage zu sehen, bitte auf den PLAY Button im Titelbild klicken
Noch ein Buchtipp
Natürlich kann – und sollte – jeder Mensch seinen ganz eigenen Kraftort finden – da, wo man ganz subjektiv eine Energie spürt, die einen durchfließt und im besten Fall glücklich macht. Das kann der Blick von einem Berg sein, aber auch die Naturidylle einer sonnigen Blumenwiese. Die Kraft kann hinter dem Erschaudern lauern, das uns den Nacken hoch kriecht, wenn wir in einer Landschaft stehen, die überwältigend wuchtig und fast schon bedrohlich unsere Schwäche und Verletzlichkeit reflektiert. Aber natürlich auch sphärisch an einem Ort wabern, der Mensch-gemacht unser Leben einem sakralen Höheren unterwirft.
Kraftorte gibt es also viele auf unserem Globus. Die meisten sind offensichtlich, weil sie einhergehen mit dem Label der Einzigartigkeit (wie die Unesco Welterbe-Stätten) oder der neuen Bucketlist der Dinge, die man gesehen haben sollte, bevor man stirbt. Aber sie sind eben viel mehr, als nur die besten Instagram-Fotospots.
Der Bildband „Kraftorte – Von Mensch und Natur für die Ewigkeit erschaffen“ aus dem Kunth Verlag listet auf über 300 Seiten 185 von ihnen auf. Untergliedert wird das Ganze in die vier Elemente Luft, Feuer, Erde und Wasser und das fünfte Element des immateriellen Kraftmoments, dem man beiwohnen könnte.
Es ist ein schöner Überblick für eine geradezu ideale Weltreise. Allerdings eine mit zu hoher Suchtgefahr. Denn wer nur noch diese Kraftorte seine Route bestimmen lassen würde, dürfte sehr schnell einen emotionalen Overkill erleiden.
Kraftorte – Kunth Verlag – 44,95 €