Neue Normalität bei der TUI?
Reise-Riese gibt sich optimistisch

Kommentar: Jürgen Drensek

Am Ende der Zoom-Konferenz heute zum TUI Reisesommer 2022 hatte ich mir eine Headline auf den Notizblock gekritzelt: War das jetzt das fröhliche Pfeifen im dunklen Wald? Stellenweise hatte man beim Abarbeiten der Charts ein kleines Déjà Vu Erlebnis. Das Gefühl, bei einer touristischen Interpretation der legendär bei der ARD vertauschten Neujahrsansprache von Helmut Kohl beizuwohnen. Man hört zu…, und merkt gar nicht, dass der Text (wenn man ihn mal ein bisschen bereinigt von dem manchmal als Füllwort eingewebten Begriff Pandemie) eigentlich fast deckungsgleich ist mit der frohen Ferienbotschaft, wie man sie noch Anfang des Winters 2019 verbreitet hätte… 

Die neue Normalität. Nach 60.000 Unterkünften im gerade laufenden Wintergeschäft wird die TUI 80.000 Hotels im Sommer anbieten. 

Momentan laufen die Kanaren angeblich wie geschnitten Brot mit allein 60 TUI Fly Flügen pro Woche und über 1000 Hotels. Ägypten schiebt sich in die Top Position und der Dauer-Newcomer Kapverden soll das natürliche Sehnsuchtsziel für die Surfer und Taucher sein. Selbst in der Ferne wird nahezu alles wieder angeboten derzeit. Dabei ist eines der teuersten Hotelziele weltweit, die Malediven, das Top-Produkt auf der Langstrecke, gefolgt von den „es wird schon irgendwie gut gehen“-Zielen DomRep, VAE und Mexiko. Selbst die USA haben es nach dem Fall des Reise-Banns in kürzester Zeit geschafft, sich auf Platz 5 vor zu robben.

Ach ja, Winter bedeutet für einige Unerschrockene ja immer noch Schnee und Skifahren. Auch da gibt sich die TUI heute optimistisch angesichts des drückenden Nachholbedarfs aus der verkorksten Saison 2020/21: 70 Skigebiete in 28 Ländern hat man eingekauft. F**ck Corona. Die Lockdowns gerade sind ja überhaupt nicht so schlimm. Schnee gibt es sowieso nicht, und – im Chor mit den Österreichischen Hoteliers und Seilbahn-Betreibern – lieber jetzt Reiseverbot, als ab Weihnachten. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Prognose Sommer 2022

Wenn ich jetzt aus den Notizen 2019 copy&paste machen müsste, würde ich bei der Prognose für den Reisesommer 2022 gar nicht so verkehrt liegen. Mallorca vor Kreta und der Türkei. Es sind die Evergreens. Der deutsche Urlauber ist offensichtlich sehr konsequent. Selbst Städtereisen denkt man, werden boomen. Auch, wenn der Grund dahinter ein anderer ist: die TUI kann Stadthotels derzeit sehr günstig einkaufen. Denn anders, als bei den Urlaubern sind die Unternehmen beileibe nicht so optimistisch in Bezug auf Geschäftsreisen. Ergo: selbst innerhalb der Woche lassen sich jetzt Business-Zimmer zu Schnäppchenraten buchen.

Ein Trend beim Kundenverhalten lässt die TUI gerade besonders frohlocken: der Wunsch nach Flexibilität und Sicherheit hat den Preis klar verdrängt. Als Unternehmen, das im Regelfall beim Preisvergleich nicht auf dem Siegertreppchen steht, ist das eine kommode Ausgangslage. Beim zumindest etwas nachhaltigeren Urlaub war man immer schon für einen Volumen-Veranstalter gut aufgestellt. 43 Millionen Gäste haben seit 2015 in einem grün-zertifizierten Hotel genächtigt. Gönnen wir der TUI die frohe Botschaft, dass zum Beispiel seitdem fast 200 Millionen Einweg-Plastik-Verpackungen in den Konzern-eigenen Hotels eingespart wurden.

Trend zum Upgrade

Wo die Geschäftsführung in Hannover derzeit jeden Tag die Entwicklung mehr als zufrieden begleitet, ist der Trend des Upgrades. Wenn schon Urlaub, dann möchten es die meisten nach diesem emotionalen Jammertal seit März 2020 doch ein wenig krachen lassen. Sprich: es wird höherwertiger gebucht. 5-Sterne wird immer mehr zum neuen 4-Sterne. Und selbst die genügsamen 3-Sterne-Urlauber schauen verstärkt nach den günstigen Zimmer in den 4-Sterne Herbergen. Suiten und Pool-Zimmer sind als erstes weg. Da hat ein Veranstalter, der nicht im Beruf des Billigheimers für jeden steht, naturgemäß das bessere Produkt-Portfolio.

Alles Paletti also in Hannover? Diese Sichtweise dürfte selbst die Frohnatur Stefan Baumert nicht haben. Da gibt es vor allem noch die finanzielle Schieflage mit der nach wie vor Zurückhaltung im Vertrauen der Börsianer, dass sich der Großkonzern schnell berappelt. Aber das Zerwürfnis mit einigen Reisebüros soll auf jeden Fall jetzt schnell durch vertrauensbildende Maßnahmen und vor allem die bessere Service-Erreichbarkeit überwunden werden. Denn das hatte Hannover schon schwer getroffen, dass manche ExpedientINNen auf Ansage bewusst Kunden zu anderen Veranstaltern umgeleitet hatten. Bei allen Investitionen in den hybriden Vertrieb und die Multi-Plattform-Kundenansprache: ohne den Counter kann noch kein Veranstalter.

Zumindest möchte man im Marketing ein neues Wir-Gefühl etablieren mit einem überdimensionierten TUI-Smiley, der sich digital immer ins Zentrum des Bildes drängelt. Neuer Claim: TUI Live Happy.

Na dann ist es auch nur noch eine Randnotiz, dass man vor allem in den TUI-eigenen Marken Robinson und Blue das Thema Workation stark ausbaut. Sprich: Hotelzimmer mit Schreibtisch, Drehstuhl und schnellem Internet – und gesunder Küche am Büffet, damit man in der Nachmittags-Arbeitszeit nicht genuss-träge in den Seilen hängt… Club Elan sozusagen in Neuauflage. Dieses Mal nicht für die Silberlocken, sondern die Digital-Natives, die es sich leisten können. Genaue Buchungszahlen für dieses Home-Office de luxe wollte man aber lieber nicht nennen. Nur etwas dementieren: es sei beileibe nicht so, dass die überwiegenden Plätze derzeit von TUI Mitarbeitern belegt seien, die ja jetzt bis zu 80 Tage weltweit arbeiten dürfen… 😉