Preissensible Familien stehen gerade 2023 im Fokus der Veranstalter-Planung - Foto © TUI

TUI setzt auf All Inclusive
2023 hilft Familien nur Budget-Sicherheit

Kommentar: Jürgen Drensek

Ja, es ist gelebte Erfahrung für uns alle, die wir uns professionell mit dem Tourismus beschäftigen: für die Deutschen gibt es tatsächlich kaum etwas, was ihre Reiselust stören könnte. Egal, welche politischen, wirtschaftlichen oder terroristischen Katastrophen oder welches Wetter-Unbill über uns hinein brachen – der Wert der angeblich schönsten Wochen des Jahres blieb strahlend. Ok, es gab Dellen bei den Buchungen, aber kaum eine andere Nation weltweit war dann immer schneller wieder zurück als Quellmarkt.

Sehr deutlich konnte man das dieses Jahr sehen. War Corona schon überwunden? Mitnichten. Weder bei uns im Land; und erst recht nicht in den klassischen Urlaubsregionen. Konnte man sich frei fühlen von Ansteckungsgefahr? Mitnichten. Die hohen Infektions-Quoten des Sommers haben es eindrücklich gezeigt. Aber die Deutschen sind gereist, als gäbe es kein Morgen. Für die touristische Industrie war das Jahr 2022 generell ein wieder gutes. Es gab sogar Wochen, wo die Auftragsbücher voller waren, als in der All-time-high-Zeit vor Corona. Der schon so oft beschriebene Champagner-Effekt. Der Knall des Korkens. Die Deutschen „mussten“ einfach wieder raus im dritten Corona-Sommer. Zu stark war das Verlangen nach der gelebten Urlaubs-Normalität. Trotz aller Risiken. Und mit relativ gut gefüllten Taschen. Denn dank des großzügigen Kurzarbeits-Sicherheitsnetzes in unserem Land und zwei gesparten Haupt-Urlauben war 2022 wieder genug Spielgeld in der (Familien-)Kasse.

Natürlich spiegelt dieses touristische Jahr, das ja noch nicht zu Ende ist, keinen eitel Sonnenschein. Schließlich war die Wintersaison ziemlich mau. Die versaut ein bisschen die Bilanz. Der Stationäre Vertrieb mault, weil es immer schwieriger wird, den objektiv besten Buchungsweg für ein doch relativ teures Qualitätsprodukt bei den Kunden auch als den naheliegendsten zu positionieren. Und ja, es wurde tatsächlich bei den Qualitäts-Veranstaltern pro Kopf mehr umgesetzt; aber gleichzeitig gab es bei den absoluten Zahlen der Urlauber einen klaren Rückgang. Sozialdemografisch die naheliegendste Lösung: ab der Mittelschicht konnte man die Lust auf Urlaub eben doch ein wenig besser ausleben, als im Niedriglohn-Sektor.

Optimismus für den Reisesommer

Nun rüsten sich die Veranstalter für den Reisesommer 2023. Und was soll man sagen? Sie strotzen vor Optimismus. Beflügelt von einer, wie es zur Zeit aussieht, ordentlichen Wintersaison, möchte man sich der frohen Hoffnung hingeben, 2022 sei ein Vorbote gewesen, dass alles wieder gut wird.

Wird es das? Abgesehen vom Mantra der unverzichtbaren Reiselust in der Wunsch-Projektion lassen Branchen-unabhängigere Konsum-Analysen daran große Zweifel aufkommen. Seit dem 2. Weltkrieg gab es kaum eine vergleichbare Situation, dass die Preise derartige Sprünge machten; gepaart mit einer generellen Unsicherheit, ob zusätzlich zur Inflation auch noch ein Kollateralschaden aus Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukraine denkbar wäre. Von der generellen Sorge, dass die freie Weltwirtschaft – die unabdingbar ist für unseren Wohlstand – mindestens mittelfristig aus dem Takt kommt, gar nicht zu reden.

Ja, es wurde im Herbst gut gereist, ja, auch der Winter hat die Buchungsbücher besser gefüllt, als erwartet. Noch war schließlich Geld da; gepaart mit einer starken Sehnsucht, sich noch, so lange es geht, eine kleine Flucht aus dem depressiv machenden Alltag seit drei Jahren erlauben zu wollen. Aber in diesen Tagen spätestens wird jedem klar, nach den Briefen der Energie-, und Strom-Lieferanten und einem Blick auf den durchschnittlichen Verbrauch der letzten Jahre, wie vierstellig hoch die Zusatzbelastungen für 2023 werden. Und daran wird auch kein Waschlappen-Vorschlag oder Pulli-daheim Rat der Politik etwas ändern. Auch nicht die wirklich großzügigen Hilfsmaßnahmen, von denen noch niemand weiss, wie sie in den nächsten Jahren (auf unsere Kosten) re-finanziert werden sollen.

Bis auf den High-End-Bereich des Luxus-Tourismus wird es keine Zielgruppe der Veranstalter geben, die 2023 dasselbe Budget für Urlaub hat, wie bisher.

Budget-Sicherheit soll es richten

Davon gehen auch die Veranstalter wohl aus; unabhängig vom optimistischen Herbeirufen eines Tourismus, der gute Chancen hätte, sich wieder wohlgefällig zu normalisieren. Gut zu sehen war das bei der Sommerprogramm-Vorstellung der TUI. Manchmal hatte man bei den Bulletpoints das Gefühl, bei Alltours zu sitzen. Ausgerechnet die TUI, die immer die Aura des teureren-aber-Sie-haben-es-sich doch-verdient-Anbieters pflegte. Bei der TUI ging es traditionell immer um das Lebensgefühl, das Quentchen mehr Zuwendung und das Extra-Pampern ihrer Klientel. Ja, man war fast nie der Preiswert-King – aber, um es etwas flapsig auszudrücken, mit der TUI-Banderole am Gepäck hatten die Reisenden auch das Gefühl, ein bisschen zur snobistischen Clique der Besserverdienenden zu gehören. Man gönnt sich ja sonst nichts…

Mochten die anderen Veranstalter auch ellenlange Sonderaktionen und Preiswecker, und Rabatt-Goodies, Festpreise und Frühbucher-Schmankerl in den Mittelpunkt ihrer Kommunikation stellen; bei der TUI wollte man möglichst nicht im Billig-Becken verortet werden; allenfalls mit Anreizen für Smart-Shopper, die es ja bis in die wohlhabendsten Kreise gibt.

Und was ruft die TUI aktuell aus? „Vollkasko für das Budget“ – das Powern des gefühlten Ewig-Trends „All inklusive“. Die Ausgaben-Sicherheit gerade für Familien soll das Nachdenken zu Weihnachten unterm Tannenbaum, ob man sich den gewünschten Sommerurlaub leisten kann, positiv beflügeln. 

Kein Wunder, dass in der Projektion die Türkei mit der Region Antalya zum ersten mal den gefühlt ewigen Platzhirschen Mallorca vom Sieger-Podest verdrängen soll. Weil eben aus Volumen-Veranstalter-Sicht die Türkei scheinbar nur noch aus preiswerten und gleichzeitig qualitativ guten All Inclusive Resorts besteht. Familien-Landverschickung, wie man sie sich nicht perfekter vorstellen kann. Dazu noch in ein Land, abseits etlicher politisch-moralischer Geschmäckle, in dem man günstig einkaufen konnte wegen Lira-Verfall, und zwei komplett weggebrochenen Quellmärkten: Russland, und tragischerweise eben auch Ukraine.

Aber nicht nur All Inclusive soll es richten mit all seinem verschwurbelten Pro Forma Qualitäts-Mehrwert – so rufen alle Robinson-Clubs putzigerweise alle zwei Wochen einen absoluten Alles-drin Tag aus, um dem Vorurteil entgegenzuwirken, AI sei ja kulinarisch eh nur billigstes Kantinen-Niveau im Plastikbecher und am pampigen Nudelbüffet. Einen polynesischen Luhana Tag (sic!) Alles im Hawaii Stil. So viel zur Authentizität eines organisierten Cluburlaubs. Blütenkränze am Fleesensee. Nice…

Portfolio geht auch in Richtung günstig

Nein, das Portfolio der im Selbstverständnis durchaus etwas elitären TUI wird nach unten geöffnet. Natürlich nur mit dem „preissensiblen Qualitätsurlauber“ im Fokus; soviel ist man seiner eigenen Marketing-DNA schon schuldig. Gemeint sind die TUI Suneo Häuser, die sich vor allem an Familien wenden, bei denen das Geld eben nicht so locker sitzt. Das ist schon ein deutlicher Paradigmen-Wechsel gegenüber den letzten Jahren, als man lieber die Sahnehäubchen-Herbergen im Portfolio  nach vorne stellte. Da haben wohl die ungleich besseren Buchungszahlen von Alltours bis Schauinsland für 2022, also der Veranstalter, die traditionell immer schon besser verortet waren bei Urlaubswilligen mit begrenztem Budget, einen deutlichen Hinweis gegeben.

Anyway. Dass die TUI bei allem fröhlichen Pfeifen im dunklen Wald durchaus die normative Kraft des Faktischen im Auge behält, mag ein kleines Detail belegen: Bei der ganzen touristischen Wundertüte, die in Vorbereitung auf eine Pressekonferenz normalerweise danach giert, wenigstens mit einem Halbsatz erwähnt zu werden, schaffte ausgerechnet ein Land sogar mehr als einen Absatz im Manuskript, das die TUI Deutschland vor Jahren wahrscheinlich noch nicht mal mit einem spitzen Finger präsentiert hätte: Albanien. Sozusagen der neue Goldstrand-Standard für Budget All Inclusive. Mit 200 Hotels. Huch, denkt sich der jahrelange Beobachter. Wo haben sie die denn aus dem Hut gezaubert? Die Auflösung: TUI Polska mag schon seit Jahren Albanien. Tja, und was die polnischen Urlauber nett finden, sollte doch für die Deutschen auch gut genug sein, oder? Wenn es nur Flüge gäbe, dann wären die Polen bald nur noch die DDR-Touristen im aufgerufenen Trendziel Albanien. Das hätte sich Enver Hodscha auch in kühnsten Alpträumen nicht vorstellen können 😉

 

 

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