TUI Blue Sensatori Resort Barut Fetiye, Türkei

2022 Türkei Boom?
Wer ersetzt die Russen?

Kommentar: Jürgen Drensek

Angesichts der täglichen Kriegsmeldungen wegen des Völkerrechts-widrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine fällt es natürlich schwer, mal über den Sommer-Tourismus nachzudenken. Aber auch dieses weiche Thema ist ein sehr wirtschaftliches – und wie immer hängt alles mit allem irgendwie zusammen.

Thema dieser Betrachtung ist also die Türkei. Eine bei deutschen Urlaubern seit jeher beliebte Mittelmeer-Destination. Und wenn man sie rein aus der touristischen Perspektive bewertet, ist sie für den Volumenmarkt das wahrscheinlich beste Sommer-Sonnen-Angebot. Eine tolle Küste, warmes Wasser, von allen Mittelmeer-Anrainern das unbestritten beste Hotel-Angebot mit einem schwer zu matchenden Preis-Leitungs-Verhältnis. Und auch, das sollte man nicht unerwähnt lassen, mit wirklich herzlichen Gastgebern vor Ort. 

Wenn da nicht seit Jahren der Mehltau des menschlich, moralisch und demokratisch irrlichternden Recap Tayyip Erdogan über der Türkei läge. Es wäre jetzt müßig, die Momente hier alle aufzuzählen aus der letzten Zeit, die uns zutiefst verunsicherten, ob man in so einem Land, wo so viel ungerechte Willkür von oben herrscht, tatsächlich Urlaub machen dürfte. Und man nicht damit letztendlich ein Regime unterstützt, das unsere gesellschaftlichen Werte und Freiheiten so verachtet.

Und trotzdem wird die Türkei dieses Jahr vielleicht zur Haupt-Ferienzeit eine Riesen-Attraktion werden für den Jahresurlaub. Eben wegen Russland und der Ukraine. Und auch wegen der bekannt robusten moralischen Verdrängungs-Haltung der meisten just fun&beach Urlauber.

Schon jetzt ist es so, dass das Zielgebiet Antalya bei der TUI auf Rang 2 der am besten nachgefragten Destinationen liegt. Hinter Mallorca. Aber das kann sich noch dramatisch in Richtung Türkei verschieben.

Deren stärkster Quellmarkt ist nämlich seit Jahren Russland. Und auch die Ukraine ist vom Volumen der Urlauber her nur knapp hinter Deutschland im Ranking. 

Ich denke, man muss kein Pessimist sein, wenn man sich nicht vorstellen kann oder mag, dass das in diesem Sommer keine Auswirkung hat. 

Was wird aus all den tausenden von hochwertigen Hotelzimmern in all den All-Inclusive-Anlagen, die trotz der Kontingent-Verträge mit Russland und der Ukraine aller Voraussicht nach nicht gefüllt werden können? Klar, die Russen würden schon kommen wollen, wenn sie könnten. Aber da gibt es nicht nur moralische, sondern auch monetäre Hürden. Der Rubel ist so gut wie nichts mehr wert, die Kreditkarten funktionieren wegen der Sanktionen und auch der Geschäfts-Entscheidungen von Visa und Mastercard nicht mehr. Also selbst, wenn Russland Interesse daran hätte, dass seine Bürger durch Brot und Spiele vergessen sollten, in welche brenzliche Lage voll weltweiter Verachtung sie das Terror-Regime von Putin gebracht hat – es ist nahezu undenkbar, dass russische Bling-Bling-Familien sich in erwähnenswerter Zahl die teigigen Bäuche unter türkischer Sonne bräunen werden.

Und dass auch die Ukraine als Quell-Markt in diesem Jahr ausfällt, ist eine schmerzliche Tatsache.

Die Veranstalter beobachten diese Situation natürlich derzeit genau; wenn auch mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite ist die Aussicht, ein hochwertiges Produkt in den kommenden Wochen quasi zu absoluten Schleuderpreisen einkaufen zu können, natürlich wirtschaftlich verlockend. Die russischen Hoteliers müssen ihre verderbliche Ware schließlich irgendwie los werden. Zumal den meisten wegen Corona der letzten Jahre das Wasser eh schon bis zum Hals steht. Da liegt es nah, die beiden westlichen Top-Quellmärkte Deutschland und Großbritannien besonders im Fokus zu haben. 

Die Deutschen wollen unbedingt dieses Jahr im Sommer wieder Ferien machen. Der Corona-Korken ist gefühlt – berechtigt oder unberechtigt – aus der Flasche. Da schäumt die Reiselust. Aber die Veranstalter wollen natürlich ihre ausgearbeiteten Landverschickungs-Strategien jetzt wegen des Zusatz-Angebots Türkei auch nicht leichtfertig über Bord werfen. Denn jedes preislich attraktive Zusatzangebot ist in gewisser Weise kannibalisierend für das sich gerade wieder aufrappelnde Buchungs-Geschäft. 

Wie soll man weiter den Kunden gegenüber argumentieren, dass sie sich jetzt sputen müssten, um überhaupt noch in der Haupt-Ferienzeit das gewünschte Hotel buchen zu können, wenn am Horizont steht, dass gerade über den für Last-Minute-Schnäppchen prädestinierten Online-Vertrieb Knaller-Angebote für die Türkei von Tag zu Tag wahrscheinlicher werden? 

Wie soll man als Reisebüro-Expedient Kundenorientiert beraten bei Anfragen für türkische Hotels, wenn abzusehen ist, dass es in ein, zwei Monaten dasselbe Angebot zu viel günstigeren Preisen geben könnte?

Wie soll man etwa weiter vehement Griechenland in der Beratung forcieren, weil zum Beispiel TUI als Losung herausgegeben hat, dass der Sommer 2022 in Griechenland besser gebucht wird, als der Sommer 2019 – wenn man sich als Touristiker eingestehen muss, dass das touristische Angebot des territorialen Nachbarn preislich ungleich attraktiver ist? Und überdies die türkische Lira so massiv an Wert verloren hat gegenüber dem Euro, dass die Nebenkosten außerhalb des Hotels für Urlauber wahnsinnig attraktiv sind…

Alles wird in diesem Jahr davon abhängen, welche Airline-Kapazitäten kurzfristig aktiviert werden können. Sollte es Flugsitze geben, dann könnte 2022 wieder ein wirklich starkes mix&match Last-Minute-Jahr werden in Richtung Türkei. Ob die klassischen Veranstalter davon profitieren, steht auf einem ganz anderen Blatt.