Reiseanalyse: Prognose für 2021 sehr durchwachsen

Reiseanalyse: wenig Hoffnung
Auch in 2021 behindert Dürfen das Wollen

„Tunahitaji watalii“ Das, liebe Kinder, ist Suaheli. Eine Sprache, mit der man sich im östlichen Afrika verständigt. Es ist ein Hilferuf. Denn viele Menschen dort sind sehr arm, und verdienen kaum genug Geld, um sich und ihre Familien zu ernähren. „Wir brauchen die Urlauber“. Das ist die Übersetzung ins Deutsche. Und der Satz stimmt sogar bei uns zuhause. Denn 2,9 Millionen Menschen leben hier in unserer Heimat vom Tourismus. Das sind viel mehr, als die 800.000, die zum Beispiel die guten deutschen Autos zusammenschrauben. 7 Prozent aller Beschäftigten. 

Und trotzdem scheinen sie Frau Merkel und ihrer Regierung wenig wert. Sie findet die Menschen, die sich um Urlaub und Freizeit kümmern, sogar gefährlich, weil sie angeblich mithelfen, dass sich das Corona Virus weiter ausbreitet. Völlig egal, was auch die Studien von vielen klugen Wissenschaftlern ergeben haben, dass das Urlaubmachen keine Auswirkung auf die Anzahl der Corona-Infizierten hat – die Regierung sagt:  Wir sollen uns weiter nicht bewegen und keine Reisen unternehmen. 

So würde vielleicht „Die Maus“ versuchen, die Corona-Urlaubskrise zu erklären. Gerade 50 Jahre alt geworden – und damit sogar ein Jahr jünger als die FUR Reiseanalyse, die seit über einem halben Jahrhundert in die Köpfe der mobilen Menschen schaut. Regelmäßig zur ITB. Für uns Fach-Journalisten ist es eine Art Pflichtveranstaltung geworden. Auch wenn die Zahlen für den Laien natürlich eher von akademischer Natur sind. Die touristische Industrie dagegen hängt an ihnen; geben sie doch wichtige Trend-Einschätzungen, wie das Reisen sich entwickeln könnte.

In den Jahren des stetigen Wachstums hätte es dem „Nerd of Numbers“ Martin Lohmann durchaus passieren können, irrtümlich die Charts vom Vorjahr auf den Beamer zu legen – es wäre vielleicht gar nicht so sehr aufgefallen bei den ziemlich konstanten Reisegewohnheiten. Klar, es gab immer mal leichte Verschiebungen, wer welches Stück vom Kuchen abbekam im letzten Reisejahr, aber ein Kuchen bleibt eben immer ein Kuchen.

Seit letztem Jahr ist er allenfalls noch ein Petit Four. Und noch nicht mal ein besonders leckeres. 

Die Lage ist ernst. Manche Akteure würden sogar sagen hoffnungslos, weil sie fürchten, nicht mehr durchhalten zu können, bis die neue Normalität wieder da ist. Minus 38% bei den organisierten Urlaubsreisen, minus 60% bei den Kurzreisen. Für das Unterwegs-Sein wurden 2020 gerade noch 55,6 Milliarden Euro ausgegeben. Man könnte natürlich auch sagen, immerhin noch. Denn in einigen Szenarien sieht es für das laufende Jahr 2021 schlimmer aus. Ein Blick in die Buchungssysteme:

In den ersten Wochen dieses Jahres – normalerweise ist das die heisseste Phase für die Urlaubsbuchung – generierte die Branche so durchschnittlich 130 Millionen Umsatz pro Woche. „Normal“ wären 650 Millionen! Und musste man Ende 2020 schon konstatieren, dass der Umsatz gegenüber der Prognose um über Dreiviertel eingebrochen war, gibt es pessimistische Analysten, die darauf noch einmal 16% minus für 2021 erwarten – also etwa gleichbleibend 100 Millionen Euro Umsatz pro Woche. Das hieße dann, Ende 2021 hätte die touristischen Akteure gerade mal 20% von dem erreicht, was sie noch 2019 umsetzen konnten. Und selbst die Optimisten glauben, wenn das mit den Impfungen endlich klappt, und wir keine neue, herausfordernde Mutation bekommen, dass allenfalls die Hälfte des Umsatzes 2019 erreicht werden könnte.

Das ist also die nicht gerade fröhlich stimmende Ausgangslage. Und da sind das dann nur Girlanden, wenn die Analysen ergeben, dass gerade besonders Hotels über 175 Euro/Tag nachgefragt werden. Klar, Wohlhabende haben sich immer schon durch Separation einen sicheren Hafen geschaffen. Und klar, bei vielen liegt nach einem Urlaubsfreien Jahr auch genug Geld auf der hohen Kante. Zumal ja auch 80 Prozent der Bevölkerung bei der selbstkritischen und fundierten Einschätzung der persönlichen wirtschaftlichen Lage zum erstaunlichen Ergebnis kommen, ihnen gehe es nach Corona noch genau so gut, wie vorher. Vielleicht sogar besser. 

Geld wäre also vorhanden, es auszugeben für den Luxus Reisen. Wenn man es nur könnte. Denn interessant ist, dass es beileibe nicht die eigene Angst ist, sich im Urlaub zu infizieren. Die Buchungszurückhaltung liegt fast ausschließlich an den Faktoren „lästige Quarantäne bei Rückkehr“, „genervt von den sich dauernd ändernden, oft nicht nachvollziehbaren Verordnungen“, „Angst vor kurzfristigen Absagen und Umbuchungen“, „Nichtwissen um die Lage vor Ort“. 

Man würde ja schon wollen wollen, wenn man nur wollen dürfte. Und es hat sich nichts geändert an den Wünschen und Motiven. Nach wie vor belegt der Strand die Spitzenposition, vor Erholung und Familie. Und bei den weichen Kriterien gibt es auch nicht viel Überraschung im Ranking: Der Abstand zum Alltag wird als häufigste Motivation genannt, vor Sonne und Wärme, Entspannung, Sport und Familie, Kraft tanken, Natur und Zeit füreinander zu haben, vielleicht sogar mit Verwöhn-Komponente.

Gibt es wenigstens ein paar „Profiteure“ in der Krise? Auch da gibt es natürlich keine brand-überraschende Erkenntnis. Ja, der Deutschland-Tourismus hat sich im Schlechten noch am besten berappelt. Waren es sonst immer so um das Drittel Deutsche, die im eigenen Land Urlaub machten, sind es nun fast die Hälfte. An der Spitze die üblichen Verdächtigen Bayern, Mecklenburg Vorpommern, Schleswig Holstein, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Hilft der Branche insgesamt natürlich nur bedingt. Denn erstens sind das oft Urlaube, die komplett am Vertrieb vorbei gehen, und nach wie vor fehlt das Butter & Brot Geschäft der meisten Hotels: der Geschäftsreise-Markt.

Aber ja, es gibt ein kleines Fünkchen Hoffnung, an das man sich trotz der Zahlen-Lage klammern könnte: Nur 14% haben dieses Jahr keine Reise-Absichten. Das sind viel weniger, als manche Medienberichte mit spontanen Meinungsbildern vermuten ließen. (Es sind immer so zwischen 10-12%) Die Hälfte der Deutschen möchte unbedingt dieses Jahr reisen – wohin auch immer. Aber über ein Drittel ist noch unsicher – eben wohin? Noch braucht die Branche die Saison also nicht ganz verloren zu geben. 

Wobei der Stationäre Vertrieb immer stärker angegriffen wird. Durch Corona haben viele Menschen gelernt, dass der Großteil des Konsums über digitale Kanäle, sei es Computer oder Smartphone, erfolgt. Auch in der lange Zeit renitenten Altersgruppe 50+. Und wer – ganz wertfrei betrachtet – es mittlerweile ganz normal findet, sich jeden Kram schnell über Amazon zu bestellen, das Essen (oder Lebensmittel überhaupt) über den Lieferdienst, die Filmunterhaltung über Streaming ins Wohnzimmer zu holen und die sozialen Kontakte über Chat und Video zu pflegen…,  der hat mittlerweile auch erheblich weniger Vorbehalte, die Urlaubsbuchung am eigenen Bildschirm vorzunehmen. Die Reisebüros werden beim knappen Drittel der Buchungen ankommen, die Online-Buchungen von knapp der Hälfte derzeit auf wahrscheinlich Zweidrittel Ende des Jahrzehnts ansteigen. Das mag viele Reisebüros jetzt besonders frustrieren. Schließlich waren sie es, die die Hauptlast der ersten Corona-Welle mit großem persönlichen Einsatz und weitgehend ohne Vergütung ihrer Handelspartner abzumildern versuchten. „Dankbarkeit“ des Konsumenten ist augenscheinlich eine Währung, auf die man nicht setzen sollte.

Und das gilt auch für die sympathischen Träumer unter uns, die hoffen, dass die Corona-Pandemie ein Umdenken bewirken könnte in Richtung Nachhaltigkeit, sanftes Reisen und Schonung der Ressourcen. Klar sind fast Zweidrittel der Urlauber schnell mit Lippenbekenntnissen dabei, wenn sie ihre Wünsche formulieren, wie umweltfreundlich Urlaub sein sollte. Aber bei der Buchung gibt es dann überhaupt keinen Indikator. Daran hat sich seit Jahren nichts geändert. Das bewusste Reisen ist ein Thema, über das wir Journalisten gerne berichten. Und wir lieben die engagierten Menschen, die vorbildlich Alternativen entwickeln. Für die Masse der Urlauber, und auf die kommt es an, ist der Verzicht auf das tägliche Handtuch-Wechseln nach wir vor das Maß der Dinge, sich nachhaltig zu verhalten.

Von daher hat Corona der touristischen Welt wenigstens im Punkt Umweltschutz etwas zurück gegeben. Weniger Reisende, vor allem weniger Flugreisende, weniger tumbe Strandtouristen in ökologisch sensiblen Gebieten, weniger ausbeutende Schnäppchenjäger haben manchen Regionen unfreiwillig geholfen. Aber was ist das schon wert gegen Lebensfreude…?

 

 

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