Romantische Urlaubsvorbereitung daheim statt Reisebüro? Foto © Jumpstory

Reisebüro unter Druck
Persönliche Beratung unwichtig?

Kommentar: Jürgen Drensek

Es war schon bemerkenswert in den letzten Tagen, mit welcher harten Häme zumindest der Social-Media-affine Teil des Stationären Vertriebs auf die Nachricht reagierte, dass TUI-Deutschland Chef Marek Andryszak das Unternehmen verlassen wird. Tenor, dies sei nun die (natürlich wohlverdiente) Quittung für seine immer sehr offen vorgetragene Analyse über die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Reisebüros.

Dabei hat der erfahrene Touristiker ohne Zweifel Recht. 

TUI-Andryszak hat Recht

Oh ja, jetzt höre ich schon die Schnappatmung an vielen Rechnern. Dabei geht es doch gar nicht um einen sinistren Plan, die jahrzehntelange erfolgreiche Partnerschaft mut-, oder sogar böswillig kurzfristig beenden zu wollen. Womöglich auch nur deshalb, um angeblich Vertriebskosten zu sparen oder sich permanent lästige nörgelnde Reisebüro-Sprachrohre vom Hals zu schaffen…

Es geht um eine perspektivische Strategie. Wie wird der Buchungsweg in fünf, zehn, zwanzig Jahren aussehen? Deutschland hat da fast weltweit unter den relevanten Reisenationen immer noch eine Sonderrolle. Ja, noch buchen über Zweidrittel der Menschen (die mit einem Veranstalter verreisen) ihren Urlaub im Reisebüro. 

Und ich persönlich finde, das ist auch gut so. Es geht schließlich in der Regel um viel Geld, das für ein Produkt investiert wird, das nicht wie ein x-beliebiger Konsum-Gegenstand einen genau zu taxierenden Wert in sich darstellt, sondern das im Endeffekt nur in einem Versprechen auf ein gutes Gefühl besteht. 

Es will mir nicht so recht in den Kopf, dass man hier als Kunde freiwillig stundenlang als Touristiker-Laie vor dem Computer recherchiert, im Endeffekt nur Preise vergleichen kann – und ohne Wissen um Komfort-Merkmale Entscheidungen treffen und sie auch noch mit den übrigen Baustein-Quellen synchronisieren muss. Ist es das wirklich wert für das vermeintliche (und real wirklich nicht signifikante) Schnäppchen? Wenn ich einmal im Jahr „richtigen Urlaub“ mache? Und es so viele Dinge gibt, über die ich mich wirklich ärgern könnte, oder die mir die Urlaubsfreude schmälern, wenn ich auf einmal persönlich handeln müsste?

Ja, so denken wir Profis im Tourismus, weil wir die Hintergründe kennen. Aber so denken nicht die Kunden.

TIC und HM Umfrage

Die beiden Professoren Andreas Humpe und Sven Sterzenbach von der Hochschule München, Fakultät Tourismus, haben in Zusammenarbeit mit den Travel Industry Club eine Online-Befragung im Mai durchgeführt, um zu ergründen, wie Reisende sich in (oder auch trotz) Corona-Zeiten die Urlaubsbuchung so vorstellen. Es gab ein Panel für Konsumenten und eines für Touristiker. Also, wie ist die Branchenmeinung (vor allem Vertrieb und Veranstalter) im Vergleich zu den Kunden?

Da gab es heute erstaunliche, aber auch ernüchternde Ergebnisse.  

Das Wichtigste: das (auch Lobby-) Mantra von der – Corona hat es wieder mal bewiesen – „sicheren und umsorgten“ Pauschalreise will nicht mehr verfangen. Kunden sehen zunehmend in ihr keinen größeren Wert gegenüber individuelleren Reisen. Wichtig für die Buchungsentscheidung  sind vielmehr Bewertungen anderer Reisenden (TripAdvisor und HolidayCheck lassen grüßen), eine gute Online-Verfügbarkeit von digitalen Informationen und Inspirationen, und ein bequemes, Barriere-freies Buchen von daheim aus. (Nein, die Befragung ist nicht vom Verband Internet Reisevertrieb v-i-r in Auftrag gegeben worden…)

Das Reisebüro hat selbst in Pandemie-Zeiten nicht an Bedeutung gewonnen. Die befragten Kunden sind bei weitem nicht so an einer persönlichen Beratung im Reisebüro interessiert, wie die Branchen-Teilnehmer der Befragung es vermutet hätten. Im Gegenteil: auf der Wichtig-Skala rangiert das persönliche Beratungsgespräch, und erst recht, das Gespräch mit einem bekannten, vertrauten Expedienten wertmäßig ganz unten auf der Entscheidungsskala für eine Buchung.

Genau die These, die Marek Andryszak dem Stationären Vertrieb in Deutschland immer zugemutet hat. Nicht, um zu provozieren, sondern, um die Augen zu öffnen für eine gesellschaftliche Entwicklung, die auch in unserem Land mit Verspätung immer stärker spürbar wird.

Der eigenwillige Kunde

Der reisende Kunde ist dabei, seine Prioritäten zu verschieben. Und er offenbart – auch in Befragungen wie dieser – dass er relativ unbeeindruckt von Experten-Prognosen zu seinen Entscheidungen kommt. 

Klar werden die meisten Urlauber sich derzeit auf die EU und Deutschland konzentrieren. Aber mitnichten ist es so, dass Urlaub in Deutschland als sicherer empfunden wird. Die Airlines wird es freuen: volle Flugzeuge haben keine so abschreckende Wirkung, wie es sich Virologen wünschen würden. Ganz pragmatisch empfinden die meisten Kunden die Maske nicht als Hemmschuh und auch nicht den Datenschutz um ihre Gesundheitsdaten. 

Und noch einige – zumindest aus Touristiker-Sicht –  erfreuliche, oder wenigstens beruhigende Meinungsbilder: In das Kästchen „ist mir ziemlich egal“ kommt der Klima-Wandel, der Fokus auf grüne Ziele, der vollständige Impfschutz, die Impfung für Kinder, die vielleicht negative Einstellung des sozialen Umfelds in Bezug auf Reisen oder Last-Minute-Schnäppchen.

Denn eines wurde klar bei der Umfrage: fehlendes Budget gibt es nicht als Hinderungsgrund. Die Deutschen wollen Urlaub machen.

Aber sie wollen und werden ihn zunehmend nicht mehr über die klassischen Vertriebskanäle buchen. Diese Entwicklung ist ein Zeichen, dass sowohl die interne, wie auch die Außen-Kommunikation der Veranstalter-Touristik offensichtlich die Empfänger nicht erreicht. Ja, wir Profis wissen, welchen Vorteil gerade für einen relativ ungeübten nicht-Weltenbummler ein Pauschal-Vertrag hat. Wir wissen, wie Kraft-, Frustrations-, und Zeit-sparend eine gute Beratung im Reisebüro sein kann. 

Aber die normative Kraft des Faktischen ist auch: der Kunde sieht es weit weniger klar so. Die negativen Auswirkungen und Erfahrungen der jüngsten Pleiten sind viel eher im Gedächtnis. Und die Erkenntnis, dass reisen heutzutage viel weniger ein schutzbedürftiges Abenteuer ist, als noch vor Jahrzehnten.

Illusion des Vertriebs

Von daher gibt sich der Stationäre Vertrieb einer Illusion, einer Selbsttäuschung, hin, zu glauben, nach dem Weggang von Andryszak würde die TUI wieder hemmungslos mit den Reisebüros kuscheln. Sie wird es nicht, weil sie es bald nicht mehr kann, weil die Kunden zunehmend andere Zugangswege einfordern. Das ist keine exklusive Erkenntnis. Das wissen auch die Mitwettbewerber, die derzeit im Windschatten des Konflikts nicht uneigennützig Appeasement und Vertriebsfreundlichkeit spielen, aber genau vor denselben Herausforderungen stehen. 

Das Verhältnis zwischen (den ja auch hoch-verschuldeten) Veranstaltern und Stationärem Vertrieb wird kompliziert bleiben. Nicht, weil man sich nicht mag. Das ist doch Unsinn. Sondern, weil der Kunde sich für diese internen Scharmützel überhaupt nicht interessiert. Und weil er, klar ausgesprochen, eigentlich nur ein egoistischer Arsch ist ohne echte Empathie und Commitment – solange sie ihm nicht wirklich nutzen.